[Erzählung aus der chinesischen Ausgabe von Pun Ngai/Li Wanwei: dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen. Assoziation A, Berlin 2008; hier auch als PDF]
Xiaoyan (小燕) ist 26 Jahre alt und stammt aus einem Dorf in der Provinz Shaanxi. Sie war offen gegenüber anderen Menschen, bis sie bei einem Pyramidengeschäft1 um eine Menge Geld betrogen wurde. Danach zog sie sich zurück und hatte keine Lust mehr, unter Leute zu kommen. Sie hatte nicht nur ihr Geld, sondern auch das Vertrauen in die Menschen verloren. In einem Brief schreibt sie:
Ende Juni letzten Jahres machte ich auf Anregung einer Mitschülerin bei einer sogenannten Kettenverkaufsfirma mit. Es war ein Direktvertrieb. Nach nur einem Monat wurde die Firma dicht gemacht, und ich hatte mehr als zehntausend Yuan Schulden. Das Geld hatte ich mir von zu Hause mit der Lüge erschlichen, ich bräuchte es, um in Guangzhou zur Schule zu gehen. Obwohl mein Vater damals schon wegen einer Operation verschuldet war, schickten sie mir das Geld, damit aus mir etwas Besseres würde. Bis heute konnte ich keine Arbeit finden, bei der ich genug verdiene, um die Schulden zurückzuzahlen. Ich habe keinen Fen* mehr und kann nicht mal meine Familie anrufen. Ich traue mich auch nicht, ihnen von meiner jetzigen Situation zu erzählen, weil sie sich dann Sorgen machen würden. Im Moment weiß ich wirklich nicht, was ich machen soll. Meine Eltern haben sehr viel auf sich nehmen müssen, um mich großzuziehen. Und ich betrüge sie auch noch. Diese Schuld werde ich mein ganzes Leben lang nicht tilgen können. Ich weiß nicht, wie ich diese schwere Last jemals wieder loswerden soll.
Glückliche Jugend
Xiaoyan war zu Hause das jüngste Kind. Sie hat einen älteren Brüder und eine ältere Schwester. Alle liebten sie, und sie wuchs in einer glücklichen Umgebung auf. Die Familie bebaute vier oder fünf Mu* Ackerland, und mit den Landmaschinen war die Arbeit nicht allzu mühselig.
Als ich klein war, hatte ich keine Lust, bei der Hausarbeit zu helfen. Wenn es was zu tun gab, halfen mein Bruder und meine Schwester. Meine Eltern respektierten meine Einstellung und schimpften nie mit mir. Die Liebe meiner Eltern ist mir damals leider nicht richtig bewusst gewesen. Erst als ich fortging, um zu arbeiten, begriff ich, wie sehr sie mich lieben. Und ich verstand, welche Strapazen sie für ihre Kinder auf sich genommen hatten.
Nachdem Xiaoyan die Schule abgeschlossen hatte, fuhr sie zusammen mit einer anderen jungen Frau an die Küste von Guangdong. Von allen aus dem Dorf, die zum Arbeiten fortgingen, hatten die beiden die weiteste Reise vor sich. Viele Menschen kamen zum Bahnhof, um sie zu verabschieden. Bis heute hat Xiaoyan diesen bewegenden Moment nicht vergessen.
Wir wollten in Xi’an den Zug nehmen, und viele Leute aus unserem Dorf, die in Xi’an arbeiteten, waren gekommen, um uns zu verabschieden. Sie brachten uns alles Mögliche für die Reise mit. Alle machten sich Sorgen, weil wir beiden jungen Frauen so weit wegfuhren, um zu arbeiten. Sie begleiteten uns zum Bahnhof, und die Bahnbediensteten fragten sich, wer nun eigentlich mitfahren wollte. Auch die Leute im Zug meinten, wir sollten uns glücklich schätzen. In dem Moment war noch alles in Ordnung, aber als die Zugpfeife ertönte, kamen mir sofort die Tränen und ich konnte nur noch an eins denken: Ich muss meine Heimat verlassen, ohne zu wissen, wann ich zurückkommen kann.
Gute Menschen
Xiaoyan hatte Glück und fand mithilfe der Beziehungen einer ehemaligen Mitschülerin Arbeit in einer Uhrenfabrik, in der sie das Lager verwaltete. Die Tätigkeit war leicht. Jedes Wochenende hatte sie zwei Tage frei. Mit den Kollegen und Kolleginnen kam sie gut aus. Zu den Arbeitsbedingungen sagt Xiaoyan nicht viel. Nur eine Sache aus dieser Zeit kann sie nicht vergessen.
Ich konnte jede Woche rausgehen und mich amüsieren. Einmal hatte ich gerade meinen Lohn bekommen und ging alleine los, um mir was zum Anziehen zu besorgen. Danach ging ich noch Reis kaufen, vergaß aber beim Verlassen des Ladens meinen Geldbeutel. Es fiel mir erst auf, als ich was gegessen hatte und bezahlen wollte. Ich war völlig durcheinander und kam erst nicht drauf, wo ich den Geldbeutel vergessen hatte. Nach einer Weile fiel mir der Reisladen ein. Ich hatte gehört, dass die Leute in der Provinz Guangdong böse sein können, und traute mich erst nicht, zurückzugehen. Im Geldbeutel waren aber über 1 200 Yuan, etwa zwei Monatslöhne! Ich musste all meinen Mut zusammennehmen und zurück zum Laden gehen. Als ich die Ladenbesitzerin nach dem Geldbeutel fragte, sagte sie, sie hätte ihn nicht gefunden. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Nicht mal die zwei Yuan für das Busticket zurück zur Fabrik waren mir geblieben. Ich wartete dort und hoffte, ein Bekannter würde vorbeikommen, den ich um Hilfe bitten könnte. Nach einiger Zeit stand plötzlich die Ladenbesitzerin vor mir und sagte, ich solle ihr folgen. Ich hatte Angst, dass ich sie verärgert hätte und sie es mir nun heimzahlen wollte. Aber was blieb mir übrig, also ging ich mit. Wieder im Laden bestätigte sie mir gegenüber die Geldsumme und gab mir den Geldbeutel zurück. Sie sagte: »Junge Frau, entschuldigen Sie! Als Sie das erste Mal in meinen Laden kamen und meinten, es handele sich um mehr als eintausend Yuan, konnte ich Ihnen nicht glauben, weil ich im Geldbeutel nur etwa zehn Yuan gefunden hatte. Aber nachdem Sie wieder gegangen waren, habe ich gesehen, dass es da noch ein Geldfach gibt, in dem so viel Geld ist, wie sie sagten. Passen Sie jetzt ein bisschen auf, seien Sie nicht so nachlässig und unachtsam. Und fahren Sie gleich zur Fabrik zurück. Wenn Sie mal wieder Probleme haben, kommen Sie ruhig zu mir.« Ich war gerührt und konnte vor lauter Tränen gar nichts sagen. Am nächsten freien Wochenende besorgte ich ein paar Sachen für die Ladenbesitzerin, um mich zu bedanken. Aber sie wollte unter keinen Umständen etwas annehmen. Sie meinte, der Geldbeutel hätte doch sowieso mir gehört, selbstverständlich hätte sie ihn zurückgeben müssen. Erst auf meine dringende Bitte hin nahm sie ein Geschenk an. Dieser Vorfall hat meine Einstellung gegenüber den Menschen aus Guangdong völlig verändert. Ich denke, sie sind nicht so gleichgültig und distanziert, wie sie oft beschrieben werden. Es gibt hier auch viele gute Menschen.
Über ein Jahr arbeitete Xiaoyan in der Uhrenfabrik. Während dieser Zeit hatte sie keine größeren Probleme. Wenn etwas passierte, gab es Leute, die ihr halfen, ihr Schicksal zum Guten zu wenden. So entwickelte sie Vertrauen zu anderen Menschen. Aber ihre Familie machte sich Sorgen, weil sie in der Fremde lebte und Heimweh hatte. Daher kündigte sie und kehrte nach Hause zurück. Ihre Mutter schickte sie nicht wieder los, denn sie kannte niemanden mehr im Ort, der Xiaoyan in den Süden hätte begleiten können. Xiaoyan ging stattdessen in die nahe Kleinstadt zu ihrem Onkel, der Busfahrer war, und verkaufte für ihn Fahrscheine.
Die Tragödie mit dem Direktvertrieb
Im Jahr 2000 wurde Xiaoyan von einer ehemaligen Mitschülerin eingeladen, nach Zhaoqing in der Provinz Guangdong zu kommen, um in ein Direktvertriebsgeschäft einzusteigen. In dem Brief »versprach« sie ihr außerdem, es handele sich um leichte und gut bezahlte Büroarbeit. Xiaoyan kannte sich mit Direktvertrieb kaum aus. Zusammen mit einem älteren Cousin, der zu Hause zu Besuch war, brach sie nach Guangdong auf, und konnte zunächst in derselben Fabrik arbeiten, in der die Frau ihres Cousins beschäftigt war. Sie dachte aber, die von der Mitschülerin angebotene Arbeit könne besser sein, und fuhr nach Zhaoqing. Xiaoyan war gerührt, als ihre Mitschülerin unerwartet am Bahnhof erschien, um sie abzuholen. Als sie in ihre Wohnung kamen, waren dort schon etliche ihrer Leute aus der Heimat. Sie empfingen sie so herzlich, dass sich Xiaoyan gleich geborgen fühlte und nicht mehr beunruhigt war.
Gleich nach meiner Ankunft nahmen mich alle gut auf. Ich habe ein offenes Wesen und mir gefiel die lebhafte Atmosphäre. Also blieb ich. Ich dachte nicht im Traum daran, meine Mitschülerin könnte mich hereinlegen.
Am nächsten Tag brachte die Mitschülerin Xiaoyan zum Direktor. Möglicherweise hatte die Mitschülerin ein schlechtes Gewissen, auf dem Weg sagte sie nämlich kein Wort. Aber einer der Männer aus ihrer Heimat meinte, die Firma bräuchte Leute im Verkauf. Er würde mit dem Direktor sprechen, damit sie den Job bekommt. Xiaoyan befürchtete, dass sie die Arbeit nicht schaffen würde, aber sie sagte nichts, weil der Mitschülerin die Arbeit auch nicht leicht zu fallen schien.
In der Firma erklärten der Direktor und andere Mitarbeiter ihr die geschäftlichen Abläufe. Sie beschrieben die sogenannte »Kettenverkaufsfirma« (in Wahrheit ein Pyramidengeschäft) so geschickt, dass auch ihre letzten Zweifel zerstreut wurden. Xiaoyan beschloss, ihnen zu vertrauen, und allmählich übernahm sie ihre Art zu leben und zu arbeiten.
Sie sagten, dass man für jede angeworbene Person, die in die Firma eintrete, 580 Yuan bekommen könne. Als ich anfing, gab es einen jungen Mann, der schon über vierzig Leute angeworben hatte und jeden Monat mehrere Tausend Yuan verdiente. Wohl um uns zu ködern, zahlten sie die Löhne jedesmal im Beisein aller anderen Angestellten aus. Sie stellten auch einen jungen Mann ein, der mir erzählt hatte, dass er zu Hause bei einem Pyramidengeschäft hereingelegt worden war. Diese Firma sei aber was anderes. Nach und nach wurden meine Vorbehalte ausgeräumt. Ich vertraute ihnen und übernahm ihre Denkweise.
Später verlangte die Mitschülerin, Xiaoyan solle 7 000 Yuan aufbringen. 3 800 davon gingen als Risikoanzahlung an die Zentrale, der Rest war für Dinge wie Telefongebühren und Lebenshaltungskosten. Xiaoyan hatte nicht so viel Geld und zögerte. Aber die Mitschülerin erzählte ihr, sie könne doch für jede Person, die sie anwirbt und die mitmacht, 580 Yuan Provision bekommen, und damit schnell diese Summe Geld wieder reinkriegen. Xiaoyan ließ sich überzeugen. Sie sollte dann zu Hause anrufen und sich Geld schicken lassen mit der Begründung, sie brauche es in Guangdong für die Kosten der Ausbildung. Xiaoyan zögerte zunächst, rief dann aber an. Der Vater befürchtete, seine Tochter werde hereingelegt, und stellte viele Fragen. Aber Xiaoyan versicherte, dass es keine Probleme gebe. Folglich ging der Vater, der gerade eine Augenoperation hinter sich hatte und bereits verschuldet war, zur Bank. Er nahm einen Kredit auf und lieh zusätzlich von ihrem Onkel 2 000 Yuan. Damit hatte Xiaoyan die 7 000 Yuan zusammen.
Wenige Tage später überwies mir die Familie das Geld auf mein Konto und ich hob es sofort ab. Es fiel mir schwer, das Geld anzunehmen. Ich setzte mich in Zhaoqing ans Ufer des Xijiang-Flusses, den schönsten Ort dort, und war sehr unglücklich. Von da an hatte ich ein halbes Jahr lang immer ein beklommenes Gefühl und traute mich nicht, zu Hause anzurufen. Ich hatte meine eigene Familie betrogen und fühlte mich ihnen gegenüber schuldig.
Einen Monat, nachdem Xiaoyan das Geld gezahlt hatte, wurde die Firma dichtgemacht. Die Betreiber und ihre Büroangestellten hatten sich vorher mit über 400 000 erschlichenen Yuan aus dem Staub gemacht.
Wir waren vollkommen niedergeschlagen. Beim Essen konnte niemand einen Bissen runterkriegen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Die meisten hatten all ihr Geld ausgegeben, und wir konnten die Miete nicht bezahlen. Ich fuhr mit der Mitschülerin nach Shenzhen, um bei einer anderen Mitschülerin unterzukommen. Ich traute mich nicht, nach Hause zurückzufahren und irgendjemandem ins Gesicht zu schauen. Das hart erarbeitete Geld meines Vaters war weg. Dieses Gefühl war schwer zu ertragen.
Arbeitohne Lohn
Xiaoyan fing mit der Mitschülerin in einer Fabrik in Longhua, Shenzhen, an. Einige Monate später ging die Firma pleite, weil sie nicht genug Profit abwarf. In Xixiang fanden die beiden neue Arbeit, aber die Firma zahlte mehrere Monate lang keinen Lohn aus. Völlig pleite kam Xiaoyan nur noch dank der finanziellen Unterstützung ihrer Mitschülerin über die Runden. Die schämte sich immer noch dafür, dass sie Xiaoyan verleitet hatte, in das Pyramidengeschäft einzusteigen. Aber Xiaoyan ist eine gutherzige Frau und verzieh ihr. Schließlich hatten sie beide Schaden
davongetragen.
Ich machte ihr keine großen Vorwürfe. Das hätte auch nichts gebracht. Wir verstanden uns immer sehr gut und ein paar Tausend Yuan können die besonderen Gefühle, die wir als Schulfreundinnen füreinander haben, nicht beeinträchtigen. Außerdem gehörte sie selbst zu den Geschädigten. Geld ist nur ein irdisches Gut, Gefühle füreinander dagegen sind das Wichtigste.
Die letzte Zeit war schwierig für Xiaoyan, weil sie nicht wusste, wie sie ihrer Familie gegenübertreten sollte. Obwohl sie ihr nichts davon erzählt hatte, wie sie betrogen worden war, hatte die Familie es vom Cousin erfahren. Ihre Leute haben sie aber so gern, dass sie kein Wort darüber verloren und sich stattdessen Gedanken machten, wie sie ihr helfen könnten. Den seelischen Druck, der auf Xiaoyan lastete, hat das sicher noch erhöht. Ihre sonst ruhige Stimme beginnt zu zittern:
Seit einem Jahr werde ich diese Last nicht los. Ich schäme mich, meinen Eltern gegenüberzutreten. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, um es wiedergutzumachen. Und ich traue mich vor allem nicht, ihnen zu erzählen, wie das viele Geld weggekommen ist. Auch ohne viel Worte verstehe ich mich mit meiner Familie gut, und sie erwähnen die Sache nie, weil sie befürchten, dass es mir das Herz bricht. Meinem Vater hatte ich damals versprochen, das geliehene Geld nach einem halben Jahr zurückzuzahlen. Bis heute habe ich es nicht getan. Nach dem Betrug habe ich ein Mal meine Mutter angerufen. Sie fragte, wie es mit der Schule laufe. Ich biss mir auf die Zunge und sagte unter Tränen: Gut! Im Moment schreibe ich ihnen selten und rufe auch kaum zu Hause an.
Kurz danach fingen Xiaoyan und ihre Mitschülerin in einem taiwanesischen Unternehmen mit über zweitausend Beschäftigten an. Die Arbeitsbedingungen waren gut, ebenso das Essen und die Unterkunft. Der Monatslohn lag durchschnittlich zwischen sechs- und siebenhundert Yuan, manchmal über tausend. Das Fabrikregime war allerdings äußerst streng, und es gab viele Vorschriften und Geldstrafen. Xiaoyan hatte vorher nur in kleinen Unternehmen gearbeitet und war an einen ruhigeren Ablauf gewöhnt. Anfangs hatte sie Schwierigkeiten sich anzupassen.
Die scharfen Kontraste zwischen dem glücklichen Familienleben, der Arbeit und der Erfahrung, betrogen zu werden, ließen Xiaoyan nach und nach reifer und gefestigter werden.
Ich bin nicht mehr so naiv. Früher habe ich kindische Dinge gesagt und getan, aber jetzt bei der Arbeit bin ich – im Vergleich zur Schulzeit – viel erwachsener geworden. Gleich nach der Schule nahm ich alles sehr vereinfacht wahr. Für mich gab es nur gute Menschen und keine schlechten, wie in einem Roman. Heute weiß ich, das es gute und schlechte gibt. Die Menschen sind sehr unterschiedlich, und die gesellschaftliche Realität ist viel komplizierter, als man sie sich vorstellt. Ich bin nun auch standhafter geworden und lasse mich nicht mehr blindlings auf
irgendetwas ein.
Wenn es um ihre Pläne für die Zukunft geht, ist Xiaoyan allerdings ratlos.
Im Moment heißt es nur arbeiten und wieder arbeiten. Es gibt nichts Angenehmes mehr. Ich denke nur noch daran, nach Hause zu fahren. Ich bin schon so alt, und auf ewig will ich nicht in der Fremde arbeiten. Wenn ich so weitermache und dann nach Hause zurückkehre, stehe ich immer noch mit leeren Händen da. Ich habe im Leben noch nichts erreicht. Ich arbeite hier zwar schon eine Weile, weiß aber immer noch nicht, was ich will. Mir kommt es vor, als ob alles umsonst wäre.
Plötzlich verstummt sie einen Augenblick und erzählt uns dann mit leerem Gesichtsausdruck, dass sie alles daransetzen will, herauszufinden, was sie selbst will.
Unter den jugendlichen dagongmei hat Xiaoyan mit ihren 26 Jahren das ideale Heiratsalter schon überschritten. Wie gleichaltrige junge Frauen steht sie unter dem Druck zu heiraten. In Shenzhen hat sie einen Wanderarbeiter kennengelernt, aber sie haben kaum Zeit, sich zu treffen. Sie hat noch kaum Erfahrungen mit Männerbekanntschaften. In letzter Zeit hat ihre Mutter sie oft gedrängt, nach Hause zu kommen und zu heiraten. Xiaoyan fühlt sich noch nicht so weit. Sie weiß nicht, ob sie mit diesem Mann ihr ganzes Leben lang zusammen sein will.
Fußnote
1 Ein in China illegales Geschäft, bei dem Einnahmen vor allem durch die Anwerbung neuer »Mitglieder« oder »Geschäftspartner« gemacht werden, auch Schneeballsystem genannt. Jedes neue Mitglied zahlt einen bestimmten Betrag an den Anwerber, der wieder Anteile davon an seinen Anwerber weitergibt. Oft ist das getarnt als Direktvertriebsgeschäft, bei dem die Mitglieder bestimmte Waren weiterverkaufen und gleichzeitig neue Mitglieder anwerben sollen. In China haben sich diese Geschäfte seit den neunziger Jahren weit verbreitet.