Erzählung: Huang – Ein Soldat bei Foxconn

von Li Changjiang


[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]

Zum Treffen mit Huang kam es, weil er im Juli unseren Fragebogen ausgefüllt und uns seine Handynummer hinterlassen hatte. Wir wollten ihn noch einmal treffen und hofften auf ein Interview. Huang zögerte nicht und sagte zu. Abends musste er noch Überstunden machen, wartete aber nach Arbeitsschluss vor dem Handyladen gegenüber der Fußgängerbrücke am Südtor.

Seine Erfahrung als Soldat

Huang betonte gleich, dass er nur ein einfacher Produktionsarbeiter sei und nichts zu erzählen habe. Aber kaum hatte er sich etwas geöffnet, stellte sich raus, dass er ein sehr unterhaltsamer Mensch sein kann. Wir erfuhren, dass er Soldat gewesen war und acht Jahre lang in Hunan gedient hatte. Ende 2007 verließ er die Armee und ging zurück in die Heimat Shanxi. Wir fragten ihn, warum er die Armee nach acht Jahren verlassen hatte anstatt dort zu bleiben. Huang verzog den Mund und lachte. Bei der Armee habe er keine Perspektive gesehen, und mehr noch wollte er in die Heimat zurück, um dort zu heiraten. “Bei der Armee herrscht ein strenges Regime. Erst wollten sie mich nicht reinlassen, dann wollten sie mich nicht rauslassen. Als ich älter wurde, wollte ich doch auch heiraten und Kinder haben.” So erfuhren wir, dass Huang während seiner Armeezeit in Hunan seine spätere Ehefrau kennengelernt hatte und die beiden zusammen in ihre Heimatprovinz Shanxi fuhren, um dort zu heiraten. Ihr gemeinsame Tochter war schon bald alt genug für den Kindergarten.

Auch nach sieben oder acht Jahren bei der Armee war er “nur einfacher Soldat”. “In der Armee kann man heute kaum noch aufsteigen. Von fünf- oder zehntausend Soldaten wird vielleicht einer befördert.” Nachdem er die Armee verlassen hatte, wurde ihm trotz seiner acht Dienstjahre keine Arbeitsstelle zugewiesen. Nach den gegenwärtigen Armeestatuten werden Soldaten mit städtischem hukou nach zwei Jahren Dienst Arbeitsstellen zugewiesen, Soldaten mit ländlichem hukou müssen dafür zwölf Jahre Dienst nachweisen. Huang mit seinen acht Dienstjahren hatte also wenig Chancen. “Was sollen sie dir auch zuweisen? Vielleicht geben sie dir irgendwo einen Job, wo du gar nicht hin willst.” Shanxi ist Chinas Kohlegebiet, aber Huang hatte nie vor, in den Bergwerken zu arbeiten. “Was machst du, wenn in einigen Hundert Metern Tiefe was passiert?” Die Leute, die in den Bergwerken Kohle abbauen, sind alle Ortsfremde, ohne Arbeitsvertrag und Absicherung, und es gibt selbstverständlich auch keine Sozialversicherung. Die Einheimischen machen alle möglichen anderen Jobs.

Enttäuschende Geschäfte

Als Huang die Armee verließ, bekam er von dieser ein Entlassungsgeld von 50.000 bis 60.000 Yuan. Er wollte diese Summe für Geschäfte nutzen. Anfangs wollte er Strohvergaser verkaufen. Er eilte nach Beijing zu einer Verkaufsvorführung dieser Geräte und war begeistert. Er erwarb auf der Stelle einige Dutzend Strohvergaser und fuhr in die Heimat zurück, um sie zu verkaufen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich dort niemand für die 300 bis 400 Yuan teuren Geräte interessierte. Die Strohvergaser waren schlecht verarbeitet, und einige funktionierten nicht mal. Zudem verfeuerten die meisten Dörfler Holz. Wer sollte also einige Hundert Yuan für so ein Ding ausgeben? Einige Dutzend Strohvergaser wurden nicht verkauft. Sie blieben stehen und wurden zu einem Haufen Schrott. Huang verlor dadurch 16.000 Yuan.

Im Volksmund heißt es, dass geschäftliche Verluste nur mit neuen Geschäften wettgemacht werden können. Huang hatte sich bei seinem ersten Geschäft die Finger verbrannt und wechselte nun zur Viehzucht. Er kaufte einige Dutzend Schweine und wollte sie in großem Stil züchten. Anfang 2008 explodierte gerade der Preis für Schweinefleisch. Ein kleines Schwein kostete 300 bis 400 Yuan. Futter und Kleie waren ebenfalls teuer. Wer hätte damals voraussehen können, dass das Schicksal den Menschen einen Streich spielt? Als die Schweine einige Monate später zur Schlachtbank geführt wurden, war der Preis für Schweinefleisch schon gesunken. Die Marktlage hatte sich dramatisch verändert. “Als ich die Schweine gekauft hatte, lag der Preis für Schweinefleisch bei 8,30 Yuan, als ich sie verkaufte, lag er noch bei 4,00 Yuan.” Teuer aufgezogen, billig verkauft – bei diesem einen Geschäft mit seinen sechzig Schweinen machte Huang 20.000 bis 30.000 Yuan Verlust.

Mit diesen beiden turbulenten Geschäften hatte Huang sein Entlassungsgeld von einigen Zehntausend Yuan fast vollständig verspielt. Nach den erfolglosen Geschäftsgründungen wusste er keinen anderen Ausweg mehr, als zum Arbeiten zu Foxconn zu gehen.

Foxconn und Kasernen

Mittlerweile arbeiteten Huang und seine Ehefrau bei Foxconn, und die zweijährige Tochter war bei den Großeltern in der Heimat. Da sie keine Ausbildung hatten und erst seit Kurzem bei Foxconn arbeiteten, waren beide einfache ProduktionsarbeiterInnen. Huang sagte, dass nicht wenige demobilisierte Soldaten bei Foxconn arbeiten. Die Firma gab ihnen aber keine Sonderstellung und behandelte sie wie andere ArbeiterInnen auch. Einige von ihnen waren auch beim Werkschutz. Huang hielt nichts vom Werkschutz: “Sie schlagen Leute, wie sie wollen. Sie schlagen auch welche tot. Man kann ihnen nichts. Wir fragten ihn, warum der Werkschutz so aggressiv vorgehen kann. “Sie sind dazu ermächtig, und sie treten zusammen auf, während die ArbeiterInnen jeweils alleine dastehen.” “Wenn sie dich totschlagen und dann vom Gebäude herunterschmeißen, wer soll dann noch wissen, wie du gestorben bist?” “Sie schlagen dich so zusammen, dass du vor Prellungen kaum noch laufen kannst. (…) Wenn du 110 wählst, kommt nicht die Polizei sondern der Werkschutz.” Diese Vorkommnisse klangen grauenhaft. Der Werkschutz erschien als Organ Foxconn’scher Gewaltausübung, das Gesetze und Menschenrechte missachtet.

Als ehemaliger Soldat kannte Huang den militärischen Führungsstil aus eigener Erfahrung. “Die einen Rang höher Stehenden setzen die Leute darunter mächtig unter Druck. Der Einzelne ist unwichtig, was zählt ist der Rang. Je nachdem, welche Position du inne hast, musst du bestimmten Leuten gehorchen. Ungehorsam wird nicht toleriert, ohne Wenn und Aber. Es heißt dann: Jeder Befehl muss befolgt werden.” Auf die Frage nach Foxconns Führungsstil sagte Huang, dass er schlechter sei als der in der Armee. “Foxconn ist unerbittlicher als die Armee. In der Armee geht es gerechter zu. Dort gehörst du zum Staat. Wenn du dir nichts Größeres zu schulden kommen lässt, können sie dir nicht einfach mit Rauswurf drohen und oder dich entlassen. Das geht dort einfach nicht.” Bei Foxconn ist das leicht möglich. Ein Chef muss nur sagen: “Hau ab!”, und schon musst du gehen. “Du musst nur ein Mal nicht gehorchen, und schon ist das Spiel für dich aus. Huang gab uns ein Beispiel. Einmal hielt ein Bereichsleiter eine Versammlung ab. Ein Gruppenleiter war nicht erschienen. Der Bereichsleiter rief nur einen Satz: ‘Schmeißt ihn raus!’ Der Gruppenleiter wurde sofort entlassen. Er hatte schon fünf oder sechs Jahre für Foxconn gearbeitet und kam mit den Leuten im Betrieb gut aus. Viele unterstützten für ihn, und baten den Bereichsleiter um Nachsicht. Später hieß es, dass in Hunan eine neue Fabrik gebaut wird und er möglicherweise dorthin versetzt wird. “Der Gruppenleiter hatte sicher Gründe, warum er nicht zur Versammlung erschien, und außerdem war er doch ohnehin gerade am Arbeiten. Die Vorgesetzten waren grausam. Wer ihn verteidigte, musste mit ihm gehen.” Dieses Vorgehen soll Macht demonstrieren, auch wenn damit die Würde der ArbeiterInnen mit Füßen getreten wird.

Foxconn hat eine hohe Fluktuation. “Viele Leute, vor allem die jüngeren, ertragen den hohen Druck nicht. Nach wenigen Monaten kündigen sie.” “Da kannst du nichts machen. Foxconns Führungsstil ist halt so. Gut ausgebildete Leute steigen nicht auf, während die Schimpfenden und Keifernden die höheren Posten einnehmen.” Huang hatte in dieser Umgebung seine eigene Überlebensstrategie. Er kümmerte sich nur um sich selbst, ließ die Vorgesetzten reden und tat so, als wenn er nichts hörte. Wir fragten ihn, ob er noch lange bei Foxconn arbeiten und nach einiger Zeit aufsteigen will. Huang erwiderte, dass er dafür nicht geeignet sei. Außerdem wolle er nicht lange in Shenzhen arbeiten, weil er nach Hause zurück muss, wenn seine Tochter älter wird und zur Schule geht. “Ich arbeite höchstens noch bis nächstes Jahr.”

Als wir das Interview beendeten, war es bereits 22:00 Uhr. Auf der Straße war immer noch viel los. Bei Foxconn waren mehrere Zehntausend Menschen unterwegs. Sie arbeiteten, lebten und kämpften dort, und sie planten ihre Zukunft. Ihre Träume werden sich nur die Wenigsten erfüllen können. Die meisten FließbandarbeiterInnen bleiben wie Huang nur vorübergehende Gäste.

 

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