Erzählung: Huis Zukunft

von Shen Cheng und Jin Shuheng


[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]

Es war spät nachts, und draußen war alles still. Plötzlich blinkte rechts unten auf dem Computerbildschirm das QQ-Fenster. Ich machte es auf und sah, dass es vom “Blauen Dämon” war. Das war Hui, der seit acht Jahren bei Foxconn arbeitete. Wir chatteten ein bisschen, dann fragte er unvermittelt: “Weißt du, wie man nach Hongkong kommt, um dort zu arbeiten?” Ich erwiderte: “Warum willst du in Hongkong arbeiten? Ist etwas passiert?” Hui antwortete: “In letzter Zeit stehe ich viel unter Stress. Ich muss möglichst schnell Geld verdienen, um meine Kinder und Eltern versorgen zu können. Die Kinder werden immer größer, meine Eltern sind alt geworden! Ich muss schnell Geld verdienen, um zurück in die Heimat fahren und ein Geschäft aufmachen zu können. Dann werde ich auch in der Lage sein, mich um meine Familie zu kümmern.”

Mit seiner dringenden und ungeduldigen Anfrage konfrontiert geriet ich ins Grübeln. Ich führte mir Huis bisherige Erfahrungen mit Wanderarbeit vor Augen. Hui stammt aus Ganzhou in der Provinz Jiangxi. Er war 30 Jahre alt. Im Jahr 2002 hatte er bei Foxconn in Shenzhen-Longhua angefangen. 2004 war er mit dem Foxcon Unternehmen IPEG nach Kunshan umgezogen. Mittlerweile arbeitete er bei PCEBG im Qualitätsmanagement. Er war schon seit acht Jahren bei Foxconn.

Das erste Mal

Im Jahr 1999, mit 19 machte Hui seinen Fachschulabschluss und ging dann in eine südkoreanische Fabrik, die Lautsprecher herstellte. Er bekam damals nur wenig mehr als 100 Yuan pro Monat. Wenig später verließ Hui die Fabrik, weil der Lohn so niedrig war. Er arbeitete vorübergehend in einer Spielzeugfabrik und dann in einer Klimaanlagenfabrik. Er blieb nie lange.

Im Jahr 2002 kam er auf Vermittlung seiner Schule zu Foxconn in Shenzhen und arbeitete als Polierer bei Hongchaozhun IPEG, in der zweiten Abteilung von T80.1 “Es war schwer, Arbeit zu finden, also ging ich wieder zur Fachschule. Die Firma Hongchaozhun wählte mich dann aus, und wir fingen dort mit mehr als 800 Leuten an. Da kamen Leute von vielen Schulen zusammen.” In der Anfangszeit dachte Hui, dass Foxconn gar nicht so schlecht sei. Die Bereichsleiter behandelten die Beschäftigten gut. Lediglich die miese Arbeitsumgebung konnte Hui kaum ertragen. “Die Arbeitsbedingungen in der Werkhalle war insgesamt sehr schlecht. Die Abluftanlage funktionierte nicht richtig, sodass es sehr staubig war. Jeden Tag nach der Arbeit waren die Haare voll davon. Selbst mehrere Atemmasken übereinander brachten nichts. Später wurde die Poliererei aber nach Shenzhen-Guanlan verlegt, und dort bekamen wir Staubschutzkleidung. Dadurch wurde es etwas besser, aber für die Nase war das immer noch sehr schädlich. Das Polieren war damals sehr hart. Wenn wir zum Waschen gingen, war der ganze Körper schwarz, genau wie bei Bergarbeitern.”

Nachdem er dort eine Weile gearbeitet hatte, fühlte sich Hui immer schlechter. “Manchmal hatte ich Hautallergien, und ich spürte den Staub im Hals. Ich hatte ständig Husten.” Wenig später wurde Huis Abteilung wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit in eine andere Abteilung integriert. Vom Polieren wechselte Hui zur Qualitätskontrolle. Der Unternehmensbereich zog dann nach Kunshan um. Hui freute sich auf seinen neuen Arbeitsplatz, aber die Wirklichkeit war ernüchternd.

Wer ist Schuld am Arbeitsunfall?

In der Zeit nach dem Umzug nach Kunshan führte Hui in verschiedenen Abteilungen Qualitätskontrollen durch und gewann viele FreundInnen. Durch die beiläufigen Gespräche erfuhr er nach und nach, was bei Foxconn hinter den Kulissen passierte. “2008 legte ein Arbeiter, der Pressformen herstellte, im Foxconn-Presswerk bei Kangzhun-AMS in der Nachtschicht ein Metallstück auf die Maschine und vergaß, es wieder wegzunehmen. Als er die Knöpfe drückte, flog das Metallstück durch die Luft und durchbohrte seinen Körper. Er starb später. Die Firma zahlte eine Entschädigung. Angeblich war seine Frau gerade schwanger.” “Auch diese Sache wurde unter der Hand geregelt. Der Unternehmensbereich zahlte irgendeine Entschädigung. Jeder Unternehmensbereich hatte seine eigene Kasse dafür. Es wird auch nicht nach oben gemeldet, weil sonst auch die Vorgesetzten mit Bestrafung rechnen müssten.”

Nach jedem Unfall schob Foxconn die Verantwortung auf die ArbeiterInnen, die angeblich bei der Arbeit Fehler gemacht hatten. Hui hielt das für vollkommen ungerecht. “Ich glaube, dass die ArbeiterInnen in diesen Fällen gar nichts falsch machen. Angesichts so langer Arbeitszeiten sind Fehler doch ganz normal. Entscheidend ist, dass keine Schutzmaßnahmen ergriffen werden.” Hui fuhr fort: “Er gehörte zur Spritzgießerei. Von oben wurde eine höhere Produktionsleistung verlangt, und es gab viel Druck. Er sollte schneller arbeiten, und er selbst wollte auch möglichst schnell fertig werden. Deswegen wurde er in die Maschine hineingezogen. Manchmal stehen Management und Produktion unter Druck, und in der Eile werden Sachen übersehen. Der Faktor Mensch ist nicht berechenbar. Ich denke, dass in großen Unternehmen mehr darauf geachtet werden muss, dass die Maschinen Schutzvorrichtungen haben. Es ist nicht klug, sich auf Menschen zu verlassen.”

Hui erfuhr, dass Foxconn die Verletzten nach einem Arbeitsunfall auch bestraft. “Es gab häufig Bestrafungen wegen Arbeitsunfällen, die von ArbeiterInnen verursacht worden waren. Angeblich hatten sie sich nicht an die Arbeitsanweisungen gehalten. Die Verantwortung wurde ganz den Beschäftigten zugeschoben, die zudem noch abgemahnt wurden.” Hui hielt dieses Verfahren für unmenschlich. Dadurch werde das Sicherheitsbewusstsein nicht gesteigert, sondern lediglich die Verantwortung auf die ArbeiterInnen abgewälzt. Für Hui hingen die Arbeitsunfälle mit der extrem hohen Arbeitsintensität in den Foxconn-Fabriken zusammen. “Um ein Beispiel zu geben: Wenn bei Foxconn ein Auftrag fertig gestellt werden muss, muss eine Arbeiterin so viel schaffen wie zwei oder drei ArbeiterInnen in anderen Firmen. Die Produktivität ist bei Foxconn so hoch, dass Aufgaben, für die früher acht Stunden zur Verfügung standen, heute in vier oder sechs Stunden gemacht werden müssen. Arbeitsunfälle lassen sich da nicht vermeiden.”

“Wenn es um den Schutz der Beschäftigten geht, muss man sich das unter dem Gesichtspunkt der Arbeitssicherheit anschauen. Die Beschäftigten selbst müssen auch aufpassen.” Hui war schon stets der Meinung, dass die Arbeitssicherheit nicht in der Verantwortung der ArbeiterInnen liegt und die ArbeiterInnen nichts falsch machen.

Ich verschwende hier meine Jugend

Hui hatte eigentlich keine Lust auf die Wanderarbeit. “Ich wollte nicht zur Arbeit losziehen. Damals hatte ich aber nichts gespart, sonst hätte ich eher ein kleines Geschäft aufgemacht.” Huis Arbeit bei Foxconn diente der “ursprünglichen Kapitalakkumulation” für sein späteres Geschäft. Das war allerdings ein langer und möglicherweise endloser Prozess.

Nach acht Jahren Arbeit hatte Hui das Foxconn-Leben gründlich satt. “Die tägliche Fluktuation ist hier sehr hoch. Manchmal kommen ein- oder zweitausend neue Leute. Bei Foxconn ist die Stimmung derzeit beklemmend. Nach diesen Selbstmordfällen dreht sich alles um die Sicherheitsgitter. Die werden überall angebracht, auf dem Dach und auf beiden Seiten des Korridors. Alle Fenster wurden verriegelt. Die Leute fühlen sich gefangen.” Nicht nur deswegen wollte Hui Foxconn verlassen. Wichtiger noch war, dass sein Lohn in den acht Jahren kaum gestiegen war.

Der Lohn der einfachen ProduktionsarbeiterInnen besteht in erster Linie aus dem Grundlohn und dem Lohn für die Überstunden. Die Überstunden machen mehr als fünfzig Prozent des Gesamtlohns aus, und viele Beschäftigte sind auf den Überstundenlohn angewiesen. Foxconn hat ein System eingeführt, das als “vernünftige Überstundenregelung” bezeichnet wird. “Bei der Unterzeichnung des
Arbeitsvertrags geht es um sogenannte ‘freiwillige Überstunden’. Entsprechend den Anforderungen der Firma müssen Überstunden geleistet werden. Bei guten Erträgen werden Überstunden angesetzt und bezahlt, bei schlechten Erträgen kriegen wir die Zeit frei. Die sogenannte ‘vernünftige Überstundenregelung’ bedeutet nichts anders, als dass wir Überstunden machen, wenn in einem Monat viel zu tun ist, und frei kriegen, wenn es im nächsten Monat wenig zu tun gibt. Ich finde, das ist den Beschäftigten gegenüber nicht fair, weil die Löhne ohnehin schon niedrig sind.”

Viele Menschen ziehen los und suchten Arbeit, um Geld zu verdienen. Diese Überstundenregelung ist eine versteckte Kürzung des Überstundenlohns. Für Hui vergeuden sie so ihre Zeit. “Die Arbeitsintensität ist etwas gestiegen, sodass es für uns junge Leute noch anstrengender geworden ist.” Der Grundlohn der Foxconn-ArbeiterInnen korrespondiert mit ihrer Einstufung. Je höher die Einstufung, desto höher der Grundlohn. Der Überstundenfaktor (der Überstundenlohn gemessen an der Betriebszugehörigkeit) ist dann ebenfalls höher. Hui war in Arbeiterlohnstufe 3 eingestuft. Er war seit acht Jahren einfacher Produktionsarbeiter und hatte wenig Hoffnung auf Beförderung. “Ich habe hier keine Chance aufzusteigen, und selbst wenn ich aufstiege, würde sich wenig ändern. Die Konkurrenz ist so groß, und da gibt es immer jemand, der das irgendwie hintenherum klar macht. Außerdem eigne ich mich meiner Meinung nach gar nicht für einen Chefposten oder eine Linienführerstelle. Ich bin zu zurückhaltend. Ein Linienführer muss bestimmte Fähigkeiten haben und ein bisschen autoritär sein.” Nicht aufzusteigen bedeutete auch, dass sein Lohn weiterhin bei etwa 2.000 Yuan liegen würde.

Hui wollte die Firma verlassen, aber Foxconn ließ ihn nicht so einfach ziehen. Jedes Jahr wird ein Leistungstest durchgeführt. Der Leistungstest ist in vier Stufen A, B, C und D aufgeteilt und betrifft Beschäftigte verschiedener Ebenen mit unterschiedlichen Leistungszulagen. Die Bewertung der jährlichen Arbeitsleistungen der Beschäftigten wird von den höheren Management-Ebenen durchgeführt. Sollten sie mit D bewertet werden, kann die Firma den Arbeitsvertrag kündigen und dem Beschäftigten die gesetzliche Abfindung auszahlen. “Ich wurde damals zum Beispiel erst vom Abteilungsleiter bewertet, und das wurde danach vom höheren Management geprüft. Ich wurde damals niedrig eingestuft. Ich wusste auch, dass ich meine Arbeit tatsächlich schlecht machte. Ich interessierte mich nicht für die Firma und wollte da sicher nicht (mehr) arbeiten. Wenn ich als D eingestuft werde und es keine Chance auf Beförderung gibt, so hoffte ich damals, könnte ich als Langzeitbeschäftigter eine Abfindung bekommen und mit dem Geld ein kleines Geschäft aufmachen.”

Später wurden die genannten Standards gesenkt (jede Werkhalle kann festlegen, wie viele mit A, B, C oder D bewertet werden, aber das wird in der Regel nicht offen verkündet). Hui suchte den Abteilungsleiter auf und sagte: “Ich weiß, dass meine Leistung in diesem Jahr nicht gut war und ich mit D bewertet werden muss.” Hui bekam die gewünschte (Bewertung) D, aber die Firma kündigte ihn nicht. Hui ging mit zwei Dutzend, mit D bewerteten Beschäftigten zur Firmenleitung, in der Hoffnung, dass die Firma ihre Verträge vorschriftsgemäß beendet. Aber “der Bereichsleiter sagte gar nichts dazu. Also gingen wir zum stellvertretenden Generaldirektor, ein taiwanesischer Manager. Er weigerte sich, uns zu treffen. Wir standen vor seinem Büro, und er holte den Sicherheitsdienst, der uns vertrieb.” “Schließlich riefen wir die Medien an und baten um Hilfe. Wir kontaktierten den ‘Nachtbus-Report’ (Nachrichtensendung im chinesischen Fernsehen, Anm. d. Ü.) und berichteten von unserem Problem. Im Jahr zuvor waren in der Montagefabrik zwei- bis dreihundert Beschäftigte ebenfalls mit D bewertet worden. Sie hatten in derselben Firma gearbeitet und sie waren gekündigt worden. Wenn wir in derselben Firma arbeiteten, warum wurden wir dann unterschiedlich behandelt? Das konnten wir nicht akzeptieren.” Auch danach tat sich in der Sache nichts. “Unser Bereichsleiter begann, uns zu schikanieren. Uns wurden keine Überstunden zugewiesen, und wir bekamen nur den Grundlohn von etwas über 1.000 Yuan. Viele wurden so gezwungen, von sich aus zu kündigen (wer selbst kündigt, bekommt keine Abfindung). Ich war der einzige, der übrig blieb. Ich war damals sehr wütend und lief zum stellvertretenden Generaldirektor des Unternehmensbereichs und machte Lärm. Er hatte Angst, ich würde weiter Unruhe stiften, und gewährte mir die Überstunden. Ich schaffte es also am Ende nicht wegzugehen. Diese Sache fand kein Ende. Ihre Methoden sind abscheulich.”

“Ich war ihr egal, weil ich weniger verdiente”

Während er immer neue berufliche Probleme hatte, geriet auch Huis Liebesleben in eine Krise. Was ehemals eine wichtige Stütze war, geriet nun zur großen Belastung, was einmal eine liebevolle Beziehung war, driftete nun mehr und mehr auseinander… Als er 19 Jahre alt war, traf Hui auf der Schlittschuhbahn die junge Mei, die damals in die zweite Klasse der Unteren Mittelschule ging. Kaum hatten sie sich gesehen, verliebten sie sich Hals über Kopf. Hui zog aber zum Arbeiten fort und musste Mei zurücklassen, die damals noch zur Schule ging. Sieben Jahre später trafen sich die beiden in Kunshan wieder, und obwohl es nicht leicht war, liefen sie schließlich zusammen in den Hafen der Ehe ein.

Ihr Eheleben verlief allerdings alles andere als problemlos. Hui und Mei mieteten in Kunshan ein kleines Zimmer von acht Quadratmetern und begannen ein glückliches Familienleben. Mei fing ebenfalls bei Foxconn an zu arbeiten, wollte sich die Schufterei aber nicht mehr antun und kündigte wieder. Draußen zog sie ein kleines Geschäft auf und verkaufte Schuhe. Sie verdiente damit nicht viel Geld, aber es reichte fürs Essen. Hui hatte in der Zeit viel zu tun und keine Zeit, sich um Mei zu kümmern. “Es waren vor allem die vielen Überstunden, insgesamt etwa 150 [pro Monat]. Wenn ich nicht gerade schlief, war ich auf Arbeit. Samstags und sonntags hatten wir Zeit zusammen, sonst normalerweise nicht. Manchmal hatte ich Nachtschicht und schlief später oder stand früher auf, um was mit ihr zu machen.” Obwohl sie täglich nur wenig Zeit miteinander verbringen konnten und monatlich nur wenig Geld verdienten, verstanden sie sich doch gut und hatten ein glückliches Leben. Hui sagte immer: “Mir sind die Gefühle wichtig; das hat mit Geld
nichts zu tun.”

Kurze Zeit später ging Mei zurück in die Heimat und gebar ein Kind. Nach der Geburt wollte Mei wieder zur Arbeit losziehen, aber Hui war anfangs überhaupt nicht einverstanden. “Sie ging trotzdem nach dem chinesischen Neujahrsfest nach Guangzhou und suchte sich dort Arbeit. Ich wollte damals nicht, dass sie geht, aber ich konnte sie nicht überzeugen und musste sie letztlich ziehen lassen. Sie ist heute immer noch in Guangzhou.” Nun lebten die beiden getrennt und hatten immer weniger Kontakt.

In Guangzhou, dieser blühenden Metropole, veränderte sich Mei langsam. “Sie zeigte mir die kalte Schulter, weil ich wenig verdiente und die Bedingungen zu Hause alles andere als gut waren. Als wir uns ineinander verliebten, achtete ich auf meine Gefühle, und als wir heirateten, waren mir ebenfalls die Gefühle wichtig und nicht das Geld. Nach der Hochzeit stellte sie gerne Vergleiche an. Der Ehemann ihrer Freundin verkaufte Mobiltelefone und verdiente viel Geld.” Meis eigene Familienverhältnisse waren nicht besonders gut. Ihre Eltern hatten drei Kinder. Sie lebten in der Stadt und hatten ein kleines Spielzeuggeschäft. Angesichts der Verlockungen der Metropole und der verführerischen Konsumangebote hoffte Mei natürlich, Hui würde mehr Geld verdienen, um sie zufriedenstellen zu können. Die beiden lebten sich allmählich auseinander. “Jedes mal wenn ich mit ihr telefonierte, gab es Streit, weil ich so wenig verdiente und sie weiter hoffte, ich würde drei- bis viertausend Yuan heimbringen.”

Meis Erwartungen setzten Hui schleichend unter Druck. “Ich schickte ihr nur selten Geld. Ich fühlte mich nutzlos. Es ist schlimm, ein Mann zu sein, der mit Geldangelegenheiten nicht klar kommt.” Hui, der zuvor die Einstellung hatte, dass “Gefühle wichtig sind, Geld aber nicht,” gab dem Druck seiner Ehefrau nach. “In dieser Gesellschaft geht es nur ums Materielle. Ich habe kein Haus, ich habe kein Auto. Als ich hinüber [nach Guangzhou] fahren wollte, sagte sie mir, ich solle nicht kommen.” Huis Nachgeben änderte Meis Einstellung nicht. “Am Anfang merkte ich es nicht, aber später erkannte ich, dass sie mich nicht mochte, weil ich wenig Geld und kein Haus hatte.” Sie drifteten auseinander. Hui schickte ihr auch kein Geld mehr und rief sich nicht mehr an. In ihrer Beziehung herrschte nun “Eiszeit”. Hui hatte auch den Verdacht, dass Mei in Guangzhou einen anderen Freund hatte. Wenig später ließen sich die beiden scheiden.

Hui verabscheute Mei damals. “Ich spürte, dass sie mich verletzt hatte. Eine Zeit lang war ich sehr deprimiert. Ich ging jeden Tag ins Internetcafé und spielte die ganze Zeit Computerspiele, bei denen man Menschen erschießt. Ich habe Respekt vor Gefühlen und halte sie für wichtig. Ich hoffe auf ihre Reinheit und dass sie sich nicht so leicht ändern wie bei anderen Menschen. So dachte ich über sie, sie dachte aber anders über mich. Mich hat das sehr verletzt.”

Nun vermisste er Mei wieder. Er schrieb in sein Tagebuch: “… ich weiß nicht, ob du mich jetzt vermisst, aber ich vermisse dich. Du sagtest, dass du böse auf mich bist und auch dass ich dich nicht verstehe, aber hast du nicht daran gedacht, dass ich dich liebe. Jeden Tag und jede Nacht denke ich an dich, obwohl du mich immer wieder verletzt hast. Wenn ich daran denke, dass du wirklich weggegangen bist, tut das unendlich weh…”.

Er kann den Kindergarten nicht bezahlen

Nachdem ihn die Frau verlassen hatte, wusste Hui weder ein noch aus. Seine kleine Familie hatte sich zwar aufgelöst, aber er musste sich um seine betagten Eltern und sein kleines Kind kümmern.

Hui stammte aus einer dörflichen Familie in Ganzhou, Provinz Jiangxi. Die Familie hatte nicht viel Land und den Eltern ging es gesundheitlich nicht allzu gut. Der Vater hatte Probleme mit der Hüfte und konnte keine schweren Arbeiten machen. Seine Mutter hatten hohe Blutfettwerte. Hui hatte zwei jüngere Brüder, die aber beide keine feste Arbeit hatten. “Meine jüngeren Brüder arbeiteten früher in Guangdong, aber die Löhne waren so niedrig, dass sie oft die Arbeitsstelle wechselten.” Zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten war die Familie also auf das Geld angewiesen, das Hui nach Hause schickte.

Hui verdiente bei Foxconn nun etwas über 2.000 Yuan im Monat. Die Monatsmiete plus Wasser und Strom betrug 175 Yuan, Internetgebühren 300 Yuan, Lebensmittel etwa 150 Yuan, Handygebühren 200 Yuan. Auch mit den leinen Geschäften, die er machte, konnte er den Eltern monatlich nur etwa 500 Yuan schicken.

Seit der Scheidung von Mei wurde ihr Kind von Huis Eltern aufgezogen. Hui fuhr jedes Jahr mehrmals in die Heimat, um das Kind zu besuchen. Auf Huis Telefon-Display war ein Foto des Kindes zu sehen. Einmal reichte uns Hui sein Handy rüber und fragte: “Das Kind auf dem Foto, ist es nicht niedlich?” Er wartete nicht auf unsere Antwort, sondern beantwortete die Frage selbst: “Er ist niedlich. Ich sollte wirklich bald zurückfahren. Er ist sehr frech.” Hui blickte zärtlich auf das Bild und lächelte. Ein Jahr zuvor sollte der Junge in den Kindergarten kommen, was 1.000 Yuan gekostet hätte, aber Hui brachte das Geld nicht auf. In dieser Zeit war Hui ganz auf sich gestellt. Er machte sich selbst dafür verantwortlich, dass er als Vater seinem Kind nicht dieselbe Ausbildung bieten konnte, die andere Kinder genossen. “Mein Sohn war nun alt genug für den Kindergarten, aber ich als Vater war nicht in der Lage, ihn da hinzuschicken. Das war eine Schande, aber es war auch bedauerlich.” “Um die Wahrheit zu sagen, als mein Sohn nicht in den Kindergarten konnte, weil ich das Geld nicht aufbrachte, wollte ich lieber sterben als weiter zu leben.” Nach dieser Sache hatte Hui gegenüber seinem Sohn Gewissensbisse. Er änderte seine Einstellung und wollte nun mehr Geld verdienen.

An Neujahr 2009 kam Huis Mutter ins Krankenhaus. Die Krankenhausgebühren lagen zwischen zwei- und dreitausend Yuan. Hui war zum Jahreswechsel nach Hause gefahren, hatte aber nicht so viel Geld. Seine Mutter war im Krankenhaus, und obwohl er ein Jahr hart gearbeitet hatte, war er nicht in der Lage, zweitausend Yuan zu zahlen. Die grausame Realität ließ Hui, dem “Geld nicht wichtig war”, ein weiteres Mal einlenken. “In dieser Gesellschaft ist Geld doch wichtig.”

Hui spürte, dass er der Mutter was schuldig war. “Als ich klein war, hat Mutter mich großgezogen und mich mit allen Mitteln unterstützt. Wann ich krank war, ist sie mit mir zum Arzt gegangen und hat sich um mich gekümmert. Jetzt ist Mutter krank und ich habe kein Geld für den Arzt!” Die Liebe zu seiner Mutter steigerte sein Verlangen nach Geld weiter. “Ich wollte jede Möglichkeit nutzen, um an Geld zu kommen. Für das Wohl meiner Mutter würde ich sogar mein Leben geben.”

Die Probleme mit seinem Sohn und seinen betagten Eltern taten Hui weh und setzten ihn enorm unter Druck. “Die wichtigsten Menschen in meinem Leben brauchen Geld, das ich nicht auftreiben kann. Ich bin vollkommen am Boden zerstört.”

Wie soll er das umsetzen?

Nach diesen schwierigen Erfahrungen wurde wurde Geldverdienen zu Huis wichtigstem Ziel. “Jetzt geht es um nichts Anderes mehr als darum, mehr Geld zu verdienen.” Durch die Arbeit bei Foxconn konnte Hui im Grunde nichts sparen. Er lebte “von Gehaltscheck zu Gehaltsscheck” (d.h. er gab das gesamte, in einem Monat verdiente Geld aus). Deswegen hatte er normalerweise noch Nebenjobs. Er verkaufte Handy-Speicherkarten, und half nun anderen beim Verkauf von Gesundheitsgeräten. “Diese Geräte habe ich gerade besorgt. Ich musste auf meinen Monatslohn warten, dann habe ich sie geholt. Damit gehe ich zu den Leuten nach Hause (um sie zu verkaufen). An einem Gerät kann ich drei- bis vierhundert Yuan verdienen. Manchmal kann man ein Gerät für bis zu 1.300 Yuan verkaufen. In der Zeit zwischen dem Erhalt der Ware und ihrem Verlauf geht es um den Preis, und es kommt darauf an, wie ich mit den Leuten spreche.” Obwohl der Preis der Geräte relativ hoch war und es schwierig sein würde, sie zu verkaufen, war Hui voller Hoffnung.

Hui wollte erst etwas Geld verdienen und dann zurück in die Heimat, um ein kleines Geschäft aufzumachen. “Ich will Sachen verkaufen, die mit Elektronik und Telekommunikation zu tun haben. Ich habe aber kein Geld, also wird das so nicht gehen, und ich muss als Kleinhändler anfangen. Als Geschäftsmann kannst du nicht einfach tun, was du willst. Du muss dich vor allem nach dem Bedarf richten.” Nach Hause zurückzukehren und ein Geschäft aufzumachen, war immer schon Huis Plan gewesen, aber wie sollte er das umsetzen? “Ich will jetzt mehr Geld verdienen, damit mein Kind eine Zukunftsperspektive hat.” Das Kind war Huis einzige Hoffnung und emotionale Stütze. Hui dachte zu der Zeit viel über die Zukunft seines Sohnes nach. “Ich habe gelegentlich an Amway-Veranstaltungen zur elterlichen Erziehung teilgenommen. Er muss in Zukunft nicht unbedingt auf eine gute Schule gehen, aber er muss fleißig lernen. Die Früherziehung ist sehr wichtig. Anfangs kann er lernen, woran er Interesse hat. Eltern müssen sich mehr um ihre Kinder kümmern, mit ihnen sprechen. Das ist wichtiger als eine gute Schule.” Hui wollte gerne nach Hause zurück, um bei seinem Kind zu sein. “Mehr Geld verdienen, warten, bis er zur Schule geht, dann nach Hause zurückkehren und bei ihm sein, ihm Orientierung geben, das wäre gut.” Huis eigene Zukunft war weiter unsicher. Er wusste nicht, ob er seinem Kind tatsächlich eine Perspektive bieten kann. In letzter Zeit wollte Hui unbedingt nach Hongkong gehen, um dort zu arbeiten. Er überlegte gar, illegal nach Hongkong einzuwandern. Er sagte, er müsse unbedingt Geld verdienen. Wo liegt Huis Zukunft? Wir wissen es genauso wenig wie er.


Fußnote

1 Die Arbeit des Polierens besteht darin, die Oberfläche von Einzelteilen so zu polieren, dass sie eben sind und glänzen.

 

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