von Han Yuchen und Ren Yan
[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]
Wir trafen Li und Zhang in einem kleinen Laden für Handys und Elektrogeräte in der Nähe des Foxconn-Komplexes in Shenzhen-Guanlan. Zufällig trugen sie beide die Arbeitskleidung des Unternehmensbereichs, der Apple-Produkte herstellt. Sie spielten gerade mit einem gefälschten iPhone 4. Wir waren neugierig und sprachen sie an. Sie stellten tatsächlich das iPhone 4 her. Beide waren mittlerweile Linienführer. Zhangs Linie lag im Produktionsablauf vor Lis. Unser Einladung zum Interview kamen sie bereitwillig nach.
Li und Zhang stammen beide aus Xi’an. Li wurde im Jahr 1988 geboren. Er hat drei ältere Schwestern und ist zu Hause der einzige Sohn. Er schloss die obere Mittelschule ab und lernte für einige Zeit das Spielen der Bambusflöte. Seiner Meinung nach konnte er nicht gut spielen und zog infolgedessen los, um Arbeit zu suchen. 2008 kam er nach Shenzhen und fing direkt bei Foxconn an: “Ich war damals ganz auf mich alleine gestellt.”
Zhang wurde 1989 geboren, war aber schon etwas länger auf Wanderschaft. Er zog bereits 2007 in den Süden. “Anfangs arbeitete ich fünf Monate lang in einer Metallfabrik in Dongguan. Da konnte ich nicht länger bleiben, kam also nach Shenzhen und fing bei Foxconn an. Damals hatten sie die Fabrikgebäude in Guanlan noch nicht fertiggestellt. Das war erst Ende des Jahres der Fall.”
Li und Zhang trafen sich zum ersten Mal bei Foxconn. Die beiden wurden gute Freunde, weil sie aus derselben Gegend stammen, im selben Unternehmensbereich an aufeinanderfolgenden Produktionslinien arbeiten und schließlich auch beide Linienführer geworden sind. Ihr Äußeres und ihre Kleidung erschienen uns modisch, und Zhangs Frisur sah besonders schick aus. Während des Gesprächs wirkte Li selbstbewusst, optimistisch und redegewandt, Zhang dagegen verschlossen, pessimistisch und still. Das Interview zeigte, wie unterschiedlich der Charakter und die Einstellungen der beiden sind, und das hatte auch direkte Auswirkungen auf ihre Erfahrungen bei Foxconn sowie ihre Meinungen dazu.
Ein echtes iPhone 4
“Der weltweit größte Unterschied liegt darin, dass wir beide losziehen und du dir ein ‘Apple’ der vierten Generation kaufst, während ich mir vier Säcke Äpfel besorge.”1 Dies wurde zu einem der populärsten Sprüche des Jahres. Manche
Leute sagen, “Apple” sind gut, aber es ist nicht leicht, sie zu essen. Viele Leute wünschen sich zwar sehnsüchtig ein “Apple”, aber sie haben nicht das nötige Geld dafür. Li und Zhang überlegten hin und her, ob sie sich ein “Apple” kaufen sollten.
“Als wir das gefälschte iPhone 4 in der Hand hielten, dachte ich, das ist nicht okay, du musst dir ein echtes kaufen,” sagte Li und seufzte. Zhang ergänzte: “Jenes iPhone 4 dort ist eine gute Fälschung, aber wir produzieren diese Dinger. Wir können fühlen und erkennen, dass die Bildschirmoberfläche einen Schnitt hat. So sehen wir sofort, dass dieses Gerät sich vom echten unterscheidet.”
In ihren Worten zeigte sich, dass die beiden stolz darauf sind, das auf der ganzen Welt populäre Apple-Handy herzustellen. Der Preisunterschied zwischen dem echten Handy (5.000 Yuan) und dem gefälschten (600 Yuan) ließ die beiden aber zögern. Ihr stolzer Ton verschwand schnell, als sie sich ihren prekären Status als Wanderarbeiter und ihren leeren Geldbeutel vor Augen führten. Wir brachen das Schweigen: “Der Unterschied zwischen dem echten und dem gefälschten iPhone ist doch
nicht so groß, nur der Preisunterschied. Das lohnt sich doch nicht. Viele Funktionen des echten iPhones braucht man normalerweise gar nicht. Bei der Arbeit hast du so viel zu tun, und man darf eh keine Handys in die Werkhalle mitnehmen. Soviel Geld für ein Handy auszugeben, zahlt sich doch nicht aus.”
Zhang hatte sich aber schon entschieden, ein echtes iPhone zu kaufen: “Ja, es ist zu teuer, und ich habe zwei Monate lang gezögert. Aber wir produzieren die ja schließlich. Wenn ich selbst eins davon besitzen könnte, wäre ich froh. Wenn ich jeden Monat etwas zurücklege, kann ich es mir irgendwann kaufen.”
Li stellte klar: “Die Dinger sind zwar zu teuer, aber wenn du sie mal benutzt, dann fühlst du dich besser. Wenn man das berücksichtigt, scheint der Preis gar nicht mehr so hoch. Unsere jetzigen Gruppen- und Abteilungsleiter haben alle eins. Das macht Eindruck! Wenn du dagegen ein Gefälschtes kaufst, und die anderen sich das anschauen, dann merken sie sofort, dass es gefälscht ist. Das ist peinlich!” Zhang erklärte uns weiter: “Wir Linienführer dürfen Handys in die Werkhalle mitnehmen, da wir ständig angerufen werden. Normalerweise sind wir auch immer im Internet bei QQ angemeldet, und mit allen heutigen Handys kannst du ins Internet gehen. Wenn du einen
Telefonvertrag mit China Unicom abschließt, bekommst du außerdem umsonst ein Handy.”
Li und Zhang sind wie andere junge Leute dieser neuen Arbeitergeneration. Sie wollen am hippen und modernen Hi-Tech-Leben teilnehmen. Ihr Konsumverhalten hat
zwar etwas Irrationales, aber anders als die Neets2 kaufen sie sich Dinge mit Geld, das sie mit ihrer eigenen Arbeit verdient haben. Ihre täglich wachsenden Konsumwünsche und ihre Hoffnung, Aufmerksamkeit zu erregen, lassen sich nur mit Blick auf
ihre Einstellungen verstehen. Sie lehnen die “Rückständigkeit auf dem Land” ab, wehren sich gegen die Bezeichnung BauernarbeiterInnen3 und verlangen Anerkennung und Wertschätzung ihrer harten Arbeit und ihres Status als ArbeiterInnen. Die Ironie liegt darin, dass sie selbst dann, wenn sie das über mehrere Monate Angesparte ausgeben wollen, feststellen werden, dass es nicht einfach ist, an ein iPhone zu kommen. Möglicherweise treffen sie nämlich auf die von Apple praktizierte Marketing-Masche des “Nicht mehr lieferbar” und müssen “vorbestellen”.
Den Führungsstil im Auge
Wir hatten über das Geldausgeben gesprochen und sprachen nun über den Ort, an dem sie Geld verdienen – Foxconn. Li sagte: “Der Führungsstil sollte besser nicht geheim bleiben. Die Öffentlichkeit sollte darüber Bescheid wissen, weil uns das einen gewissen Schutz gewähren würde. Das sind in jedem Fall paramilitärische Managementmethoden. Als wir hier anfingen, kannten wir die Vorschriften noch nicht. Zuhause war alles langsam und entspannt abgelaufen, und hier ist alles
reglementiert. Ich blieb mal mehr als zehn Minuten auf der Toilette und musste beim Rauskommen zur Strafe strammstehen, bekam Leistungsabzüge und meine Prämie wurde verringert. Das werde ich nie vergessen. (…) Ich gebe euch ein Beispiel: Jede Foxconn-Unternehmensgruppe hält morgens in der ‘Kommandozentrale’ eine Versammlung ab, in der über den vorherigen Tag berichtet wird. Einmal vertrat ich meinen vorgesetzten Gruppenleiter. Das war sehr erhellend. Der Versammlungsraum glich tatsächlich einer
Einsatzzentrale. Auf einem großen Bildschirm wurden alle Produktionszahlen des vorherigen Tages angezeigt. Wo die Vorgaben nicht erreicht wurden, leuchtete eine rote Lampe. Der Vorgesetzte – in der Regel ein Bereichsleiter oder der Direktor – richtete den Infrarot-Zeigestift auf Produktionslinien, welche die Vorgaben nicht erreicht hatten. Danach zeigte er auf die Gruppenleiter und Linienführer dieser Produktionslinien und beschimpfte sie. Wenn er der Meinung war, dass die vorgebrachten Erklärungen nicht ausreichten, waren sie in einer prekären Situation. Ich war Zeuge, wie ein Abteilungsleiter, leitender Angestellter dritten Ranges, beschimpft wurde. Der Direktor fragte ihn: ‘Wie lange arbeitest du schon hier?’ Er antwortete: ‘Zehn Jahre.’ Der Direktor sagte daraufhin: ‘Verdammt noch mal, du verschwendest mein Geld! Ich gebe dir zwei Tage. Wenn es dann hier weiterhin rot leuchtet, sagst du mir, wie du das zu regeln gedenkst. Wenn es zwei weitere Tage später immer noch rot leuchtet, gehst du entweder freiwillig oder ich schmeiße dich raus!’ Am nächsten Tag leuchteten die Produktionslinien des Abteilungsleiters immer noch rot, woraufhin er einen ganzen Karton Fertignudeln ins Büro brachte um deutlich zu machen, dass er nicht freiwillig gehen wird. Die ihm unterstehenden Führungskräfte arbeiteten alle 18 Stunden am Stück, und die Maschinenführer kamen alle zurück. Alle nahmen an, das Problem läge bei den untersten Führungskräften, die die Produktionslinien nicht gut leiteten. In solchen Situationen werden Überstunden ohne Lohn geleistet, aber trotzdem müssen alle morgens um acht Uhr und abends um 20:00 Uhr ein- und ausstempeln, um zu zeigen, dass sie planmäßig mit der Arbeit beginnen und aufhören. Gruppenleiter und Linienführer behandeln die ArbeiterInnen schlecht. Eine Ebene übt Druck auf die nächste aus usw., so ist das halt.” “Foxconn hat was von einem Königreich,” fügte Zhang hinzu, “und Terry Gou ist der König. Wenn der einen Sohn bekommt, müssen ihm alle in der Firma Tribut zollen.”
Wir sprachen die Selbstmordserie an und fragten, ob sich der Führungsstil nachher verbesserte. Li erzählte uns: “Dreizehn Menschen sind in den Tod gesprungen, und dazu kommen diejenigen, die doch nicht gesprungen sind, etwa zwanzig bis dreißig. Ich kenne einen, der ist 25 oder 26 Jahre alt und hat 2007 hier angefangen. Er wurde direkt zum Saubermachen der Toiletten eingeteilt. Er hat mehrmals bei Vorgesetzten angefragt, ob er die Abteilung wechseln kann, aber die haben das nicht genehmigt. Schließlich stand er dann auf dem Dach und wollte herunterspringen. Das war genau in der Zeit der Selbstmordserie. Leute von der Firma drängten ihn herunterzukommen, aber als er dann unten war, haben sie ihn sofort entlassen. Am nächsten Tag brachten sie ihn in sein Heimatdorf. So ist das bei Foxconn. Sie versuchen, diese Beschäftigten so schnell wie möglich loszuwerden.”
Li äußerte auch seine Ansichten zur Erhöhung der Löhne: “Sie waren zu der Lohnanpassung gezwungen. Eigentlich ist unsere Lohnanpassung von Apple bezahlt worden, weil Foxconn die Preise erhöhte und Apple die Aufträge nur an Foxconn vergeben kann, weil die anderen Auftragshersteller nicht über dieselben Kapazitäten verfügen.”
Macht und Leid der Linienführer
Obwohl sowohl Li als auch Zhang mit Foxconns Management in vielen Punkten unzufrieden waren und die Position des Linienführers für anstrengend und schwierig hielten, unterschieden sich ihre Einstellungen doch erheblich. Li schien sich eher mit der Position und den Aufgaben eines Linienführers zu identifizieren und das damit verbundene Erfolgsgefühl zu genießen. Zhang dagegen schien das Interesse an der Position des Linienführers verloren zu haben.
Li sagte: “Um beurteilen zu können, ob jemand die Position des Linienführers ausfüllen kann, muss man vor allem schauen, wie gut er die ihm übertragenen Aufgaben erledigt. Die Vorgesetzten bekommen das mit. Wenn der Gruppenleiter erkennt, dass du Verantwortung übernimmst und starke soziale Fähigkeiten besitzt, wird er dich behutsam fördern und dir Möglichkeiten geben, dich zu bewähren. Ich suche mir auch gerade einige Assistenten, sonst arbeite ich mich noch zu Tode. Ich nenne sie die ‘fünf Tigergeneräle’.4 Die Beschäftigten behandle ich gut. Schließlich war ich selbst einfacher Arbeiter und bin nach und nach aufgestiegen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie bösartige Linienführer sich verhalten. Deswegen will ich zumindest nicht so sein wie meine vorherigen Linienführer. Die momentan beschäftigten fünfzig ArbeiterInnen sehen mich als älteren Bruder. Natürlich muss ich sie auch bestrafen, wenn sie einen Fehler machen, aber wenn sie Urlaub oder einen Krankentag beantragen und sich das irgendwie einrichten lässt, dann genehmige ich das. Der Druck bleibt allerdings so oder so hoch. Wie ich schon gesagt habe, eine Ebene übt Druck auf die nächst untere aus.”
Zhang unterbrach ihn: “Besonders nach den Selbstmorden passten wir auf, wie wir mit den ArbeiterInnen sprachen. Aber wenn die Vorgesetzten mit uns redeten, dann kam es nach wie vor dazu, dass sie uns anschrien. Sie waren nur am Ergebnis interessiert, nicht daran, wie es zustande kam.” Danach schilderte er eine unschöne Erfahrung: “Einmal hatte ich meine Aufgaben nicht vollständig erledigt und wurde vom Vorgesetzten im Beisein von vierzig bis fünfzig Leuten beschimpft. Ich fand das sehr unangenehm und wollte nicht mehr weitermachen. Ich war damals schon Linienführer, und die anderen dort ebenfalls.”
Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: “Diese Erfahrung hat mich geprägt. Es macht keinen Sinn, als Linienführer zu arbeiten. Du verdienst kaum mehr als die einfachen ProduktionsarbeiterInnen. Der Jahresbonus beträgt etwa 1.000 Yuan, gerade mal 200 Yuan mehr, als was die einfachen ProduktionsarbeiterInnen bekommen. Der Druck ist dagegen immens. Ich bin die Wanderarbeit bereits satt und will in die Heimat zurückkehren. Ich hatte schon gekündigt, aber der Chef beschimpfte mich nur, sodass ich bleiben musste. Wenigstens gab er mir zwei Tage frei. Ich werde aber nicht lange bleiben. Der Stress ist mir zu groß. Ich halte höchstens noch diesen Sommer durch, sonst werde ich noch verrückt.”
Li sagte: “Mir ist dasselbe widerfahren. Ich warf damals aus Wut mein neues Handy auf den Boden. Wir müssen jeden Tag um 7:30 Uhr in der Fabrik sein. Abends kommen wir zwischen 20:30 Uhr und 21:30 Uhr da wieder raus. Du kannst dir vorstellen, wie gestresst wir sind. Jeden Morgen muss ich überlegen, wie ich den Tag organisiere. Vielleicht kann ich um 15 Uhr mal für zehn Minuten Pause machen. Die Teile eines Produktes kosten 300 Yuan. Jeden Tag sollen wir 1.570.000 Gehäuse herstellen, die durch die Qualitätskontrolle kommen müssen. Insgesamt produzieren wir 1,7 bis 1,8 Millionen, aber lediglich siebzig bis achtzig Prozent schaffen es durch die Kontrolle. Eine Arbeiterin schafft pro Tag im Schnitt 140 Stück. An einer Produktionslinie arbeiten fünfzig ArbeiterInnen pro Schicht, Tages- und Nachtschicht zusammengezählt sind das 100 ArbeiterInnen. Die Produktionslinie muss also 14.000 Stück produzieren. Diese 14.000 sind zu schaffen. Am wichtigsten ist, dass im vorherigen Produktionsabschnitt gute Qualität produziert wird. Wenn die uns schlechte Qualität liefern, schaffen wir es kaum, weil alles langsam läuft. Wenn wir nacharbeiten müssen, schicke ich zuerst die Beschäftigen weg. Dann überlege ich selbst, was zu tun ist, und sage den ‘fünf Tigergenerälen’, dass sie bleiben müssen. Wir paar Leute arbeiten dann hart und fleißig. Schaut euch die Narben an meinen Händen an, die sind alle vom Nacharbeiten.”
“Die Qualitätskontrolle darfst du auf keinen Fall verärgern,” fuhr Li fort. “Die Linienführer müssen die von der Qualitätskontrolle zum Essen einladen. Die Beziehungen zwischen der Produktionsabteilung und der Qualitätskontrolle müssen unbedingt gepflegt werden. Um es mal so zu sagen: Wenn ein Linienführer im Monat 4.000 Yuan verdient, muss er vielleicht 2.000 Yuan für das Essengehen mit denen von der Qualitätskontrolle ausgeben.”
Vielleicht war es sein optimistisches Wesen oder sein Kommunikationstalent, jedenfalls begann Li schnell wieder, von seinen “Errungenschaften” zu erzählen. “Jetzt muss ich an der Produktionslinie auch die Rolle des Psychologen einnehmen. Manche halten die Arbeit für zu anstrengend und sind nicht glücklich. Ich sage ihnen dann: ‘Bei der Wanderarbeit geht es ums Geld, wie sollten wir das vergessen?! Wenn ihr mit dem Computer arbeiten könnt, dann geht doch ins Büro.’ Zu gegebener Zeit helfe ich ihnen aber auch, den Arbeitsplatz zu wechseln. Dieses Jahr haben wir viele PraktikantInnen, und nach der Selbstmordserie wurden es noch mehr. Vielleicht liegt es daran, dass
die auf dem Arbeitsmarkt angeworbenen zu verschieden und schlecht zu führen sind. Die SchülerInnen sind etwas gehorsamer. In diesem Jahr hatten wir bereits vier Gruppen von FachpraktikantInnen. Momentan sind an der Produktionslinie achtzig Prozent PraktikantInnen. In der ersten Woche konnten sie es kaum ertragen. Einige der Frauen waren
erschöpft und fingen an zu weinen. Ich kann das auch verstehen. Sie erzählten mir, dass ihre Lehrer in der Schule alles in den schönsten Farben beschrieben haben. Nach der Ankunft hier fühlten sie sich jedoch wie Maschinen. Jeden Tag dieselben Bewegungen. Gerade mal fünf bis zehn Prozent hatten einen Beruf gelernt, der mit der Produktion in Zusammenhang steht. Ich tröstete sie und sagte, dass es besser wird, wenn man die erste Woche einmal überstanden hat. Soweit es geht teile ich die Leute aus einem Ort zusammen ein. Sobald sich die PraktikantInnen eingewöhnt haben, sind sie produktiver.”
Nun kam Lis Freundin rüber zu ihm. Sie arbeitete auch bei Foxconn, und es stellte sich heraus, dass sie in der Qualitätskontrolle beschäftigt war. Scherzeshalber sagten wir, dass Li wohl einen Maulwurf in der Qualitätskontrolle platziert habe. Li erzählte uns daraufhin, wie er sich verliebt hatte. Seine Stellung als Linienführer spielte eine Rolle.
“Im März diesen Jahres wurde ich abgestellt, um zwei Wochen lang neu eingestellte ArbeiterInnen zu schulen. Es ging es hauptsächlich darum, die Unternehmenskultur und die Fabrikordnung zu erklären. Nach Beendigung des Unterrichts gab ich ihnen meine Telefonnummer und sagte, sie sollten mich im Falle von Problemen anrufen. Sie war die erste, die mich dann anrief. Sie wollte lieber die Tagesschicht haben und keine Nachtschicht. Sie fragte mich, ob ich ihr helfen könne, und ich stimmte zu. Ich wusste nicht mehr, wie sie genau aussah, aber da sie die erste war, die mich angerufen hatte, blieb mir das im Kopf hängen. Nachher habe ich sie bei der Arbeit getroffen und entdeckt, wie gut sie aussieht. Ich setzte sie dann an meiner Linie ein. Später dann…” Er lachte und fuhr dann fort: “Ich hatte dann Angst um meinen Ruf. Wenn ich ihr was sagte, hörte sie nicht auf mich. Wenn ich ihr eine Aufgabe übertrug, erledigte sie die nicht. Sie sagte: ‘Ich bin doch deine Freundin, da kannst du mich nicht
herumkommandieren!’ Wie sollte ich jetzt bei der Arbeit noch mit ihr umgehen? Ich musste mich entscheiden, und die Arbeitspflichten kommen vor den Familienbeziehungen.” Obwohl er die Arbeit über die Familie gestellt hatte, strahlte Li vor Glück.
Kein Ort zum Bleiben
Auf ihre Zukunftspläne angesprochen, sagten Li und Zhang unisono, dass sie nicht lange bei Foxconn bleiben wollten. Man sollte wissen, wann man mit dem Wanderarbeiterleben besser aufhört. Zhang sagte, wenn man lange bei Foxconn bleibt, “ist das nicht gut für die geistige Gesundheit.” Die Firma wie auch die Stadt sehen ihn nur als vorübergehenden Gast, also begreift auch er die Wanderarbeit in der Stadt nur als eine Erfahrung: “Man sammelt neue Erkenntnisse, man kommt mit Leuten in Kontakt und sieht was von der Welt. Ich will aber so schnell wie möglich hier weg und in die Heimat zurück, um ein Geschäft aufzumachen.”
Li meinte daraufhin, dass er noch eine Zeit weiterarbeiten wolle, aber nicht länger als zwei Jahre. “Wenn meine Eltern einigermaßen gute Voraussetzungen geschaffen haben, dann gehe ich zurück und eröffne einen Supermarkt.”
Fußnoten
1 Im Chinesischen besteht das Wortspiel darin, dass “vierte Generation” und “vier Säcke” ähnlich ausgesprochen werden: si dai. (Anm. d. Ü.)
2 Neet: Not in Employment, Education or Training (ohne Arbeit, und nicht in der Schule oder in einer Ausbildung); steht hier für junge Leute, die keinen (angemessenen) Job finden und weiter bei ihren Eltern wohnen. (Anm. d. Ü.)
3 Der chinesische Begriff nongmingong beschreibt die WanderarbeiterInnen, steht aber wörtlich für
Bauern-ArbeiterInnen. Die Bezeichnung macht deutlich, dass die WanderarbeiterInnen weiter als ländliche Bevölkerung klassifiziert werden, auch wenn sie in einer Stadt leben. (Anm. d. Ü.)
4 Fünf Tigergeneräle ist eine Bezeichnung für fünf militärische Befehlshaber eines chinesischen Teilstaats im 2. und 3. Jahrhundert. (Anm. d. Ü.)