Erzählung: Yong – Von der Baustelle zu Foxconn

von Wang Wei und Dong Junyan


[Erzählung aus der chinesischen Fassung des Buches von Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]

Ende November 2010 trafen wir Yong und seine Freundin. Es war bereits nach 20 Uhr, und es blies ein kühler Wind. Die beiden hatten gerade Feierabend und ihr Magen knurrte. Ein Strom von Menschen zog an der langen Kette von Marktständen vorbei, und viele warteten auf ihr Essen. Yong schien unser Erscheinen nicht zu stören, ganz im Gegenteil, er war erpicht darauf, uns von sich zu erzählen. Seine Geschichte plätscherte so dahin, ohne große Wellen zu schlagen, aber mit vielen Wirbeln und Wendungen.

Rauf in den Norden, runter in den Süden

Yong stammt aus Zhoukou in der Provinz Henan. Er hatte auf Baustellen in Beijing Verputz- und Ausbauarbeiten durchgeführt. An Plackerei auf dem Bau konnte er sich gut erinnern. “Ich war 2005 in Beijing. Bei der Arbeit hing ich an einem Seil und strich im zehnten Stockwerk und weiter oben die Außenwand. Im Winter war es äußerst kalt, und außerdem blies ein starker Wind. Das war gefährlich.” Nach Jahren der harten Arbeit auf den Baustellen entschied er, in den Süden weiterzuziehen.

Er kam nach Shenzhen, und hatte erst mit einigen Problemen zu kämpfen. Dann hatte er bei Foxconn Arbeit gefunden und war mittlerweile schon drei oder vier Jahre dort. Er erinnerte sich, dass er anfangs nicht direkt von Foxconn eingestellt wurde, sondern 1.500 Yuan ausgab, um auf eine Berufsfachschule zu gehen. Erst danach fing er bei Foxconn an. “Ich hatte damals keine Ahnung, wie ich bei Foxconn reinkommen sollte.”

Auf dem weiten Weg rauf in den Norden und runter in den Süden hatte Yong seinen eigenen Platz und einen akzeptablen Beruf gesucht. Auf seiner Reise hatte er mehr Erfahrungen gesammelt, als viele seiner KollegInnen, sodass er die Gesellschaft besser verstehen konnte. Er schien kritischer zu sein und fähig, seine begrenzten Optionen zu erkennen.

Die Arbeit bei Foxconn

In den Jahren der Schufterei bei Foxconn stieg Yong vom einfachen Produktionsarbeiter zum Linienführer auf. Der Stress war alltäglich. Anders als in der Zeit als einfacher Produktionsarbeiter, bekam er als Linienführer aus zwei Richtungen Druck: von oben und von unten. Auf der einen Seite spürte Yong den Druck der strengen Rangordnung. Ging etwas schief, konnte der Linienführer entlassen werden: “Etwas als eigenen Verdienst zu verbuchen, war schwer, kleinere oder größere Missgeschicke passierten dagegen leicht.” Auf der anderen Seite waren die ArbeiterInnen an der Produktionslinie zunehmend schwerer zu kontrollieren. “Im Jahr 2007, kurz nachdem ich hier angefangen hatte, konnten die Beschäftigten im Krankheitsfall nur dann freie Krankentage nehmen, wenn das die Produktion nicht beeinträchtigte. Heute sind die Beschäftigten viel schwieriger zu führen.” Nun waren die ArbeiterInnen “entschlossener”. Yong gab ein Beispiel: “Die PraktikantInnen aus Henan sind schwer unter Kontrolle zu halten. Einem Praktikanten war die Arbeit hier zu schwer, da kaufte er sich am nächsten Tag einfach eine Fahrkarte und fuhr nach Hause zurück. Seine Eltern sagten, wenn er arbeiten will, soll er arbeiten, wenn er nicht arbeiten will, soll er halt nach Hause kommen.”

Als Linienführer stand er nicht nur unter großem Druck, die Arbeit war auch hart und erschöpfend. Yong hatte oft erst nach 21 Uhr Arbeitsschluss. Der Lohn war jedoch alles andere als hoch. Nach der letzten Lohnerhöhung bekam Yong einen Grundlohn von 2.200 Yuan, aber die Preise waren auch gestiegen. “Besonders die Miete ist deutlich erhöht worden. Sie hat sich mehr als verdoppelt, von 140 Yuan auf über 300 Yuan! Zwei Drittel meines Lohnes gebe ich pro Monat aus: Monatsmiete, Wasser- und Stromgebühren machen zusammen 400 bis 500 Yuan; Handygebühren liegen bei 200 bis 300 Yuan; eine Hose kostet 100 Yuan, Schuhe zwischen 100 und 200 Yuan, einmal Einkleiden 700 bis 800 Yuan. Das sind weit über 1.000 Yuan. Wenn ich dann mit Freunden Essen gehe, komme ich monatlich…” Er seufzte. “So gerechnet bleibt kein Geld mehr übrig.”

Während Yong mit uns sprach, saßen er und seine Freundin an einem Tisch am Straßenrand und aßen zu Abend. Er bestellte an einem Stand einige kalte Speisen, ein wenig Fleisch und zwei Getränke. Das war nicht viel, und es sah auch nicht besonders hygienisch aus, kostete aber trotzdem 30 bis 40 Yuan.

“Was ist mit der Lohnerhöhung für die einfachen ProduktionsarbeiterInnen?”, fragten wir weiter. Yong antwortete: “Der Grundlohn der einfachen ProduktionsarbeiterInnen steigt jetzt auf 2.000 Yuan, aber man muss erst eine Leistungsbewertung überstehen. Nach drei Monaten wird man dann noch mal bewertet. Wer nicht die erwartete Leistung bringt, wird auf 1.200 Yuan zurückgestuft. Selbst wenn du die Prüfung überstehst, werden also deine täglichen Leistungen angeschaut. Wir Linienführer führen die Bewertungen durch.”

Der Grundlohn wurde zwar angehoben, aber die Überstunden reduziert. Yong nahm einen Schluck seines Getränks und fuhr dann fort: “Wir arbeiten hier draußen, um Geld zu verdienen. Wenn wir keine Überstunden machen, haben wir Freizeit, und die kostet Geld. Jetzt werden weniger Überstunden gemacht, das lohnt sich also gar nicht. Die Leute, die sich mehr um ihre Familie kümmern, schicken jeden Monat 1.000 Yuan nach Hause. Diejenigen, die mehr an sich und ihr Vergnügen denken, haben vielleicht sogar Schulden.”

Wir saßen am Straßenrand. Der Herbst hatte gerade begonnen, und die kalten Windböen ließen uns frösteln. Wir erwähnten die Arbeitsunfälle in der Fabrik. Yong senkte seine Stimme: “Im März oder April dieses Jahres wurde ein junger Arbeiter an den Stanzen von zwei Zylinderblöcken am Kopf getroffen. Er war sofort tot. Einer aus meiner Heimat arbeitete in der Stanzerei. Später erzählte er mir erzählt, dass die Familie dieses Arbeiters 300.000 Yuan verlangt und die Firma gezahlt hatte.” Yong verstummte. Dann sagte er mit Bedauern in der Stimme: “Das ist passiert und vorbei. Ein junges Leben ist vergangen. Egal was man sagt, jetzt ist es eh zu spät.”

Yong konnte nicht verstehen, warum ein Linienführer nach einen Arbeitsunfall auch bestraft wird: “Ich finde das System problematisch. Wenn eine Beschäftigte einen Arbeitsunfall hat, ist das auch für uns Linienführer schwer zu ertragen. Die Ursachen von Arbeitsunfällen liegen aber oft in defekten Maschinen und überlangen Arbeitszeiten. Dort muss man ansetzen, um das zu ändern, und nicht einfach Leute bestrafen.”

Ungewisse Zukunft

Auf dem Weg von der Baustelle zu Foxconn konnte Yong viele Erkenntnisse gewinnen. “Auf der Baustelle konnte man sich Fertigkeiten aneignen und dann mehr verdienen. In der Fabrik dagegen musst du Bildung haben.” Sein Bildungsniveau ist für seine zukünftige Entwicklung zum Hindernis geworden. Kurz vorher hatten zwei mit Bachelor-Studienabschluss an Yongs Produktionslinie angefangen. Auch wenn sie bisher dieselbe Arbeit machten wie er, verdienten sie doch deutlich mehr. “Sie sind vor zwei oder drei Monaten gekommen und haben noch von nichts eine Ahnung. Ich arbeite schon drei oder vier Jahre hier und bekomme weniger als sie. Die mit Studienabschluss bekommen von Anfang an mehr als 2.500 Yuan Grundlohn.” Obwohl Yong das für ungerecht hielt, musste er es stillschweigend hinnehmen. Er lachte bitter: “Das ist eben so, weil ich unzivilisiert und ungebildet bin.”

Auf die Beförderungschancen bei Foxconn angesprochen, sagte Yong: “Vor zehn Jahren war es möglich, bis zum Abteilungsleiter aufzusteigen. Jetzt brauchst du dafür eine gute Ausbildung. Es gibt so viele gut ausgebildete Leute hier, da wird es schwer. Würde ich woanders hingehen, käme ich aber nicht mal auf 2.000 Yuan Grundlohn, und da kann ich ja auch keinen Abschluss vorweisen…”

“Wenn ich so Autofahren könnte wie andere Leute, könnte ich auch mein eigener Chef sein!” Yong verstummte kurz und schlug plötzlich auf den Tisch: “Ich will auch ein Geschäft gründen, aber ich habe die 20.000 bis 30.000 Yuan nicht, die ich dafür brauche. Wenn ich erfolgreich ein Geschäft aufziehen kann, dann ist alles gut, aber wenn es nicht so läuft, waren all die Jahre der Arbeit und des Sparens umsonst.”

“Viele Leute gehen davon aus, dass man selbst die Gelegenheit ergreifen muss,” fährt Yong fort. “Wenn man Mut hat, kann man reich werden, ohne Mut kann man keinen Cent verdienen und bleibt arm. Zum Beispiel an der Börse, da kann man an einem Abend reich werden und an einem Abend alles wieder verlieren. Wir dagegen verdienen unser Geld mühsam und haben keine Möglichkeit, an der Börse zu investieren. Wir sind auch nicht abgesichert. Falls irgendwas passiert, hast du kein Geld mehr, um über die Runden zu kommen.”

Wir sahen, dass Yong und seine Freundin beide Ringe trugen und sich scheinbar sehr mochten. Als wir genauer nachfragten, meinten sie aber, dass “sie die nur so zum Spaß tragen.” Als das Wort Heirat fiel, wirkte Yong resigniert: “Eine Heirat hängt nicht nur von Gefühlen ab, man braucht auch eine Menge Geld. Der Mann muss bezahlen, eine Wohnung, Möbel usw. Das ist eine große Belastung. Ich habe zu Hause fünf Geschwister. Mein großer Bruder und meine große Schwester sind beide verheiratet. Ich bin es aber noch nicht, und ich traue mich auch nicht. Meine Eltern sind schon ziemlich alt. Später muss ich mich um sie kümmern. Ich weiß nicht, wie das gehen sollten, wenn ich auch noch heiratete und für meine Ehefrau und meine Kinder aufkommen müsste.”

 

This entry was posted in Texte and tagged , , . Bookmark the permalink.