Integration verschiedener Arbeitsregime? Foxconn in Tschechien

von Rutvica Andrijasevic und Devi Sacchetto (2013)

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[Aus: Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013]

In diesem Aufsatz untersuchen wir die Arbeitererfahrungen, den Arbeitskräfteeinsatz, die Arbeitsorganisation und die Rolle des Staates in den Foxconn-Fabriken in Tschechien.1 In den letzten Jahren haben sich die Massenmedien mit den Arbeiterselbstmorden in den chinesischen Foxconn-Fabriken beschäftigt, aber nur selten mit den Foxconn-Fabriken in Osteuropa.2 Diese Untersuchung basiert auf etwa 60 Interviews mit einheimischen und zugewanderten ArbeiterInnen sowie auf Gesprächen mit Fachleuten an den Produktionsorten in Tschechien. In den zwei Werken arbeiten 8.000 bis 9.000 Menschen, die für die wichtigsten internationalen Marken produzieren (HP, Chimei-Innolux, Cisco, bis vor ein paar Jahren auch für Apple). Die Belegschaften sind deutlich in direkt Festangestellte und über internationale Zeitarbeitsfirmen Beschäftige unterteilt. Die extreme Flexibilisierung der Produktion, die hohe Fluktuation und die Dequalifizierung der Arbeitskraft machen einen ständigen Nachschub an Arbeitskräften aus der Europäischen Union (EU) und angrenzenden Gebieten notwendig. Die Belegschaft umfasst etwa 50 Prozent ImmigrantInnen, die aus der EU (Slowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien) oder anderen Ländern (Mongolei, Ukraine, Vietnam) kommen. Die meisten von ihnen werden über Zeitarbeitsfirmen rekrutiert und ein Großteil ist in Wohnheimen außerhalb der Fabrik untergebracht.

Made in EU“ auf chinesische Art?

Tschechien ist eine Art Sonderexportzone, in der die multinationalen Konzerne mit verschiedenen Formen des Einsatzes von Arbeitskraft auf mittlerem europäischem Lohnniveau experimentieren können. Die industrielle Produktion wird von einer staatlichen Maschinerie unterstützt, die einige osteuropäische Länder geschaffen haben, um ausländische Investitionen anzuziehen.3 Foxconn genießt einen zehnjährigen Steuererlass und darf zudem seine Produkte als „Made in Europe“ statt „Made in China“ bezeichnen.4 Osteuropäische Länder spielen eine entscheidende Rolle in der Produktion von Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) für den europäischen Markt. Ungarn war das erste Land, in dem sich ICT-Fertiger ansiedelten, und bleibt der wichtigste Produktionsstandort. Tschechien ist derweil zum „Computer-Zentrum für den westeuropäischen Markt“ geworden.5

Die beiden tschechischen Foxconn-Fabriken sind sich in punkto Einstellungspraxis und Arbeitsorganisation sehr ähnlich. In beiden Städten waren die Erwartungen vor der Fabrikeröffnung hoch, weil davon ausgegangen worden war, dass das Unternehmen Arbeitsplätze schaffe. Mehrere GesprächspartnerInnen betonten jedoch, dass Foxconn deutlich niedrigere Durchschnittslöhne zahle als vorher in der Region üblich. Andere Unternehmen am Ort passten sich schnell an Foxconns Lohnniveau an.

Die Fabrik in Pardubice gehört seit dem Jahr 2000 zu Foxconn. Die Produktionsstätte existierte allerdings schon vorher als HTT Tesla und wurde von Foxconn aufgekauft. In auftragsstarken Zeiten sind hier etwa 5.000 bis 6.000 Leute beschäftigt.6 Die Fabrik in Kutnà Hora liegt etwa 40 Kilometer von Pardubice entfernt. Sie wurde auf die grüne Wiese gestellt und 2008 eröffnet. Dort arbeiten etwa 2.500 bis 3.000 Beschäftigte.7 
In beiden Fabriken besteht die Belegschaft zu zwei Dritteln aus Männern. Die ArbeiterInnen sind klar nach den Marken aufgeteilt, für die sie produzieren: Samsung, Chimei-Innolux, Cisco, Hewlett-Packard, Apple.8 Diese Trennung verhindert das gegenseitige Kennenlernen und führt zu Missverständnissen, wie wir noch sehen werden.

Ich habe nicht das Gefühl, als wären da noch Leute unter mir, am Fließband. Ich habe keine Gelegenheit, ArbeiterInnen zu treffen, besonders welche aus der Produktion. Ich treffe nur Leute aus meiner Abteilung. Für mich besteht das Fließband nur aus Zahlen und Worten. (…) Fließband klingt für mich sehr theoretisch. (Svatava, festangestellte Arbeiterin aus Tschechien, Pardubice, 12.9.2012)

Die Rekrutierung des Personals lief anfangs über die lokalen Arbeitsämter. In Pardubice konnte sich Foxconn Arbeitskräfte aussuchen, die vorher bei HTT Tesla gearbeitet hatten, und übernahm vor allem junge ArbeiterInnen sowie diejenigen mit englischen Sprachkenntnissen. Direkt Beschäftigte wählt Foxconn selbst aus, von Agenturen georderte Arbeitskräfte stellt hingegen die Agentur im jeweiligen Heimatland ein. Die Auswahl des Personals sowie die Schulungen werden relativ locker gehandhabt. Sie umfassen einen praktischen Test und allgemeine Fragen. Den WanderarbeiterInnen, die der tschechischen Sprache nicht mächtig sind, steht meistens eine Übersetzerin zur Verfügung.

Als ich mich für den Job bewarb, musste ich zwei Tests bestehen, einen in Polen und einen hier. Sie dauerten nicht mehr als zwanzig Minuten, und ich musste nichts selbst ausfüllen. Sie sagten mir, welche Kästchen ich abhaken sollte. Bei Foxconn erklärten sie mir, was ich tun musste. Ich bekam keine Schulung, aber als ich mit der Arbeit anfing, wurde ich ans Fließband gesetzt und mir wurde gezeigt, wie man die Sachen macht. Nach drei Stunden musste ich unterschreiben, dass ich eine Schulung erhalten hatte. In Wirklichkeit brauchte ich eine Woche, um das zu lernen. (Gabriel, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice 30.8.2012)

Die Ex-Beschäftigten von HTT Tesla, die vom taiwanesischen Unternehmen Foxconn übernommen wurden, erlebten eine grundlegende Änderung sowohl des Management-Modells als auch der Arbeitsbedingungen. In der Fabrik waren sie sofort mit Managern aus Taiwan, China und Großbritannien konfrontiert, die in den Abteilungen die Koordination und Überwachung übernahmen.

Als Foxconn vor zwölf Jahren anfing, waren die meisten Manager Chinesen oder Taiwanesen, aber jetzt sind viele Tschechen. Es gibt auch schottische Manager, weil Foxconn Compaq und HP übernommen hat. (…) Die chinesischen  Manager spielen eine wichtige Rolle: Sie können über Versetzungen entscheiden und die Vorschriften durchsetzen.
(Alexandr, festangestellter Arbeiter aus Tschechien, Pardubice
31.8.12)

Foxconn führte neue Arbeitszeitsysteme ein und versuchte die Haltung der ArbeiterInnen gegenüber den unternehmerischen Vorgaben zu ändern. Obwohl das neue Managementmodell in Pardubice bereits seit zwölf Jahren zum Einsatz kommt, scheint es die bisherigen Arbeits- und Lebensgewohnheiten der tschechischen Arbeitskräfte wie auch der WanderarbeiterInnen noch nicht vollständig zerstört zu haben.

Vorher [bei Tesla] arbeiteten wir von 6:00 Uhr bis 14:30 Uhr, und dann von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr. (…) Als Foxconn das hier übernahm, konnten wir nicht gehen, wenn es um 16 Uhr ein  Problem gab, solange bis das gelöst. Du konntest nicht “Nein” sagen, und selbst wenn du schon zu Hause warst, und irgendwas musste erledigt werden, holten dich die chinesischen Manager ab. Mir ist es passiert, dass ich um 18 Uhr zur Arbeit abgeholt und erst um 23 Uhr wieder zurückgebracht wurde. Die Sachen mussten gemacht werden, und zwar sofort. (…) Als Foxconn anfing, wollten sie in Pardubice so etwas schaffen wie in Shenzhen, und dort ist Loyalität wichtig. Hier laufen die Dinge aber anders, und die Leute funktionieren nicht so. Die Chinesen haben sich also geirrt. (Ivona, festangestellte Arbeiterin aus Tschechien, pensioniert, Pardubice 13.9.2012)

Foxconn versuchte die neuen Formen der Arbeit und des Einsatzes der Arbeitskraft nicht nur durch die Einstellung ausländischer Manager umzusetzen, sondern schickte Personal aus Tschechien auch nach China. In den ersten Monaten nach Betriebsaufnahme erhielten Dutzende tschechischer ArbeiterInnen eine mehrmonatige Schulung in der Fabrik in Shenzhen. Das hinterließ einen starken Eindruck:

Ich war mit 20 anderen tschechischen ArbeiterInnen einen Monat lang in China. Es war schockierend, aber auch interessant: Es lief ab wie unter einem Militärregime. Wir waren in einem Hotel innerhalb des Fabrikkomplexes untergebracht. Morgens um 8:00 Uhr ging es los, um 19:00 Uhr hörten wir auf. Wir mussten alle zwei Stunden einen Bericht darüber schreiben, was wir getan und gelernt hatten – auch
am Ende des Tages, am Ende der Woche und am Ende des Monats –, sowohl über unsere Fortschritte als auch die Qualität der Schulung. (Borek, Ex-Festangestellter aus Tschechien,
Pardubice, 31. 8. 2012)

Arbeitsteilung und Spaltung der ArbeiterInnen

Die interne Arbeitsteilung sieht eine klare Trennung zwischen tschechischen ArbeiterInnen und WanderarbeiterInnen vor, die wiederum der zwischen Festangestellten und ZeitarbeiterInnen folgt. Tschechische – teilweise auch slowakische – Männer besetzen bessere Posten sowie Führungsstellen, während MigrantInnen und tschechische Frauen an den Produktionslinien stehen. Die Spaltung der ArbeiterInnen in der Fabrik ist komplex und erfolgt auf der Basis von Nationalität, Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Arbeitsaufgaben und Form des Arbeitsvertrags. Die Spaltung wird durch unterschiedliche Arbeitsuniformen ausgedrückt:

Der Ausbilder trägt lila, die Gruppenleiter tragen grün, die Qualitätskontrolleure gelb, die Linienführer weiß, die Abteilungsleiter schwarz/blau und die im Lager rot. (Cezara, Zeitarbeiterin aus Rumänien, Pardubice, 8. 9. 2012)

Während alle Führungsaufgaben von der tschechischen (und in geringem Maße slowakischen) Kernbelegschaft Foxconns erledigt werden, sind die Koordinatoren der Zeitarbeitsagenturen für die Qualität, Quantität und Zeitplanung der ZeitarbeiterInnen verantwortlich. Einige Linienführer, Gruppenleiter und Abteilungsleiter werden von einer Agentur gestellt, die meisten sind aber direkt bei Foxconn angestellt. Die Linienführer sind für die Produktion verantwortlich, haben einen Tisch mit den Namen aller Leute und wissen, wer am Montageband welche Position innehat. Die Gruppenleiter stehen über den Linienführern und über beiden stehen wiederum die Abteilungsleiter. Über allen diesen Positionen stehen die Foxconn-Manager. In manchen Fällen übt eine Agentur die Kontrolle über ein Montageband aus, formell oder informell. In diesen Fällen wird die Produktion von einem Koordinator organisiert, der oft auch als Übersetzer fungiert und für die Führung der ArbeiterInnen wie für alle Verwaltungsaufgaben zuständig ist.

Tabelle – Interne Aufteilung der Beschäftigten bei Foxconn in Tschechien

Herkunft Geschlecht Alter Ausbildung Einsatz Weiteres
China, Großbritannien, Tschechien Vorwiegend Männer 40-50 Universitätsabschluss Manager Gute Kenntnisse der englischen Sprache; Teil der weltweit einsetzbaren internationalen Elite
Tschechien, wenige andere Vorwiegend Männer 30-50 Höherer Schulabschluss, oft Universität Leitende Angestellte, Verwaltung Gewisse Kenntnisse der englischen Sprache, fast immer fest angestellt
Tschechien, zum Teil Slowakei Ausschließlich Männer 30-50 Technische Ausbildung Vorarbeiter, Lageristen usw. Fast alle verheiratet, Kinder, einige festangestellte Migranten und Koordinatoren der Agenturen
Tschechien, Slowakei, einige MigrantInnen Männer und Frauen 20-40 Elementare Schulbildung, technische Ausbildung ArbeiterInnen an den Linien Befristete Verträge von zwei Monaten bis zwei Kahren, mobil, keine familiären Verpflichtungen
Europa, auch Tschechien Männer und Frauen 20-35 Schulbildung und Arbeitserfahrung unterschiedlich ArbeiterInnen an den Linien Alle MigrantInnen, über Zeitarbeitsagenturen, einige Linienführer und Übersetzer
Von außerhalb der EU Männer und Frauen 30-45 Technische Ausbildung ArbeiterInnen an den Linien Über Agenturen, vor allem in Montage und Wartung, einige Linienführer und IT-Techniker

Arbeitsprozess und Formen der Kontrolle

Wie in vielen Elektronikunternehmen sind die Arbeitsaufgaben in den produktiven Abteilungen leicht zu erlernen. Es geht vor allem um die Geschwindigkeit ihrer Ausführung. Der Produktionsprozess basiert auf dem kaizen-System, der Just-in-time-Produktion mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zur Steigerung  der Produktivität. Berichte der Fachpresse geben uns eine Vorstellung, wie schnell die Produktionsanforderungen sich ändern: Bereits einige Monate nach der Eröffnung 2008 entließ die Fabrik in Kutnà Hora 100 ArbeiterInnen. Im Juli 2009 waren dort nur noch 800 ArbeiterInnen beschäftigt. Im Sommer 2009 suchte Foxconn dann 1.000 neue Leute bis zum Ende des Jahres und im November 2009 plante Foxconn gar, eine weitere Fabrik in Tschechien zu bauen.9 Im Juli 2011 verkündete Foxconn wiederum, dass das Werk in Kutnà Hora geschlossen und eine neue Fabrik in den tschechischen Städten Jihlava oder Třebìč eröffnet werden könnte.10

In den beiden Fabriken in Tschechien werden Komponenten montiert, die aus verschiedenen Ländern angeliefert werden, vor allem aus China. Die Fertigprodukte sind für den europäischen Markt bestimmt.11 Foxconn versucht ständig, die Produktivität zu erhöhen. Die ArbeiterInnen müssen tägliche Produktionsziele erreichen, obwohl ihnen Stundenlöhne gezahlt werden. Durch räumliche Veränderungen wie eine bessere Organisation der Werkhallen und des internen Transports sowie die Bereitstellung von geeigneteren Arbeitswerkzeugen wurden die Arbeitsbedingungen vereinfacht, aber auch die Arbeitsproduktivität erhöht: „Die Produktivität in den tschechischen Werken ist in etwa genauso hoch wie die in den chinesischen. Der Absentismus liegt an manchen Tagen jedoch bei bis zu 15 Prozent.“12 Ein kleiner Teil der ArbeiterInnen hat schon in beiden tschechischen Fabriken gearbeitet. Sie sind sich einig, dass die Arbeitsbedingungen – den Arbeitsrhythmus und die Arbeitsbeziehungen betreffend – in Kutnà Hora besser seien als in Pardubice, was auch damit zusammenhängt, dass in Kutnà Hora Server und in Pardubice Laptops und Desktops hergestellt werden.

Ich fand Kutnà Hora besser, weil es dort Zwölf-Stunden-Schichten gab und die Gruppenleiter und der Abteilungsleiter dich wie einen Freund behandeln und dir helfen. Wenn es in Kutnà Hora am Band nichts zu tun gibt, setzen sie dich an ein anderes Band, wo es Arbeit gibt. So hat jeder was zu tun. Sie schicken die Leute nicht nach Hause, wenn es keine Arbeit gibt. Hier in Pardubice ist es wie in Auschwitz. Die Gruppenleiter und Abteilungsleiter sind wie die Gestapo – so behandeln sie dich. (Karol, Ex-Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice, 2.9.2012)

Das Regime an der Montagelinie ist hart, aber der Job anspruchslos und einfach zu erlernen. Die ArbeiterInnen stehen ständig unter Druck und der Arbeitsrhythmus ist konstant hoch.

Es ist leicht, den Job zu erlernen, aber das Montageband läuft sehr schnell, und wenn du die Geschwindigkeit nicht halten kannst, brüllt die Abteilungsleiterin. (Konrad, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice, 26.2.2012)

Beide Fabriken beschäftigen in den produktiven Abteilungen vor allem junge ArbeiterInnen, welche die repetitiven Arbeitsabläufe und die Taktzeiten von 40 bis 60 Sekunden schaffen. Wegen der einfachen Arbeiten sind die Arbeitskräfte leicht zu ersetzen. Die Mehrzahl der ZeitarbeiterInnen wird an den Montagebändern eingesetzt, sonst allenfalls noch in der Verpackung.

Sie wollen nur Leute zwischen 20 und 35 Jahren, weil die Arbeit sehr schnell ist… Ältere Leute schaffen die Montagelinie nicht. Es ist physisch erschöpfend, und ältere Leute schaffen diese Arbeit nicht länger als fünf Monate, vor allem jene, die über 50 Jahre alt sind. (Madalena, Zeitarbeiterin aus Rumänien, 1.9.2012)

Frauen arbeiten eher in Positionen, in denen sie keine schweren Gewichte tragen müssen, auch weil das gesetzlich so geregelt ist. Frauen machen aber keine „leichten Arbeiten“, sie stehen oft an den Montagelinien. Arbeiterinnen beschweren sich über die Nachtschichten, Arbeiter tun das aber auch. Die Nachtschichten sind besonders schwierig für ältere Leute und für jene mit Kindern.

[Die Nachtschichten] machen dich fertig… Einige Leute haben Depressionen wegen der Nachtschichten, andere kommen nicht damit klar, andere hören deswegen auf. Die Leute, die Nachtschichten machen, sind nervös, gereizt und erschöpft. (Artur, festangestellter Arbeiter aus Tschechien, Pardubice
13.9.2012)

Die Firma legt bei der Mehrheit des Personals – außer bei Positionen in der Verwaltung und an heiklen Stellen – keinen besonders großen Wert auf formale Ausbildungen, sondern achtet mehr auf das Alter und die Fähigkeit, das hohe Produktionstempo halten zu können.

Meiner Meinung nach ist die Bildung in der Fabrik nicht so wichtig. Ich arbeite mit zwei anderen am selben Platz: einer hat keine Schulbildung aber eine Menge Erfahrung, einer hat die Oberschule abgeschlossen, und ich selbst habe keinen Abschluss. Drei Leute mit verschiedenem Bildungsgrad, aber wir machen dieselbe Arbeit. Ich denke also, der Bildungsgrad ist nicht wirklich wichtig. (Rupert, festangestellter Arbeiter aus der Slowakei, 10.9.2012)

An den Montagelinien hängen über den ArbeiterInnen Monitore, auf denen Anweisungen stehen, wie die Arbeit zu erledigen ist und wie hoch die Produktionsvorgaben sind. Wenn sie die Vorgaben nicht schaffen oder Fehler machen, werden den ArbeiterInnen Geldstrafen aufgebürdet oder sie bekommen keinen Bonus. Während der Arbeit müssen sie, bis auf wenige Ausnahmen, stehen. Wenn sie sich ohne Erlaubnis hinsetzen oder an der Montagelinie anlehnen, müssen sie eine Strafe zahlen. Über das Informationssystem sieht der Abteilungsleiter sofort, wenn ein Fehler gemacht wurde und wer ihn gemacht hat. Die technologischen Innovationen an den Montagelinien ermöglichen eine ständige Kontrolle der Produktion und verhindern größere Beeinträchtigungen der Produktqualität. Nach jeweils wenigen Montageschritten wird die Qualität der ausgeführten Arbeit kontrolliert, was die sofortige Identifizierung des Verursachers eines Fehlers ermöglicht. Dieses System verhindert höhere Ausschussquoten – oder besser: soll sie verhindern. Das Endprodukt können die ArbeiterInnen wegen der Teilung der Arbeit in immer kleinere Schritte kaum mehr erkennen.

Niemand hat mir die Anweisungen erklärt; alles war auf dem Bildschirm, und dann waren da die Gruppenleiter, die meine Arbeit kontrollierten. Ich bekam eine Strafe von bis zu 2.000 Kronen (80 Euro),13 wenn ich mich hinsetzte oder am Band anlehnte. Das ist schnelle, pausenlose Arbeit, und sie wussten, ob du die Norm erfülltest, weil sich auf dem Display Bereiche für alle vier Montagelinien mit roten und grünen Lichtern neben jede Linie befinden, rot falls die Norm nicht erfüllt wird, grün wenn doch. Wenn das rote Licht blinkt, kommen sowohl der Abteilungsleiter als auch der Gruppenleiter und bedrängen die Leute, damit sie schneller arbeiten. (Pawel, Zeitarbeiter aus Polen, 8.9.2012)

Ein Arbeiter glaubt, dass “Arbeit halt Arbeit ist” und deswegen alles Klagen nichts nutzt:

Die Arbeit ist schnell, aber das hängt von den Arbeitsschritten ab, also von der Position an der Montagelinie. Es ist Teamarbeit. In einer Stunde produzieren wir mit sieben Leuten etwa 53 PCs. (Bolor, festangestellter Arbeiter aus der Mongolei, Pardubice 1.3.2012)

Die Geschwindigkeit der Arbeitsausführung und die mangelnden Ruhezeiten führen zu zahlreichen Unfällen, vor allem wenn die ArbeiterInnen zwölf Stunden lang arbeiten und zusammen mit anderen ArbeiterInnen in einem Zimmer wohnen.

Es gibt viele Unfälle während der Arbeit, weil die ArbeiterInnen nicht genug schlafen. (Alexej, Ex-Foxconn-Arbeiter aus Tschechien, Kutnà Hora, 25.2. 2012)

2010 verhängte die lokale Gewerbeaufsicht gegen Foxconn in Pardubice eine Geldstrafe über 500.000 Kronen (19.830 Euro) wegen Nichteinhaltung der Vorschriften über Erholungszeiten.14 Die Gewerbeaufsicht kontrolliert die Fabriken relativ regelmäßig, aber die Inspektoren können oder wollen die Bedingungen nicht immer in angemessener Weise untersuchen.Tatsächlich fällt es ihnen bisweilen schwer, bestimmten Phänomenen in einem so großen Unternehmen auf den Grund zu gehen:

Wir machen alle sechs Monate bei Foxconn eine Untersuchung. Beim letztem Mal ging es um illegale Beschäftigung, aber wir fanden nichts Gesetzwidriges. (Zbyšek, Angestellter der Gewerbeaufsicht, Pardubice 4.9.2012)

Die hohen Produktionsschwankungen erfordern nicht nur eine schnelle Bereitstellung von Arbeitskräften, sondern auch eine enorme Flexibilisierung der Aufgabenzuteilung. In auftragsstarken Zeiten stehen viele ZeitarbeiterInnen oft einer Nationalität an den Montagelinien, während in auftragsschwachen Zeiten dort auch tschechische oder slowakische ArbeiterInnen stehen, die direkt bei Foxconn angestellt sind. Einige ArbeiterInnen können an allen Plätzen arbeiten und alle anderen an der Montagelinie ersetzen. Sie bekommen einen höheren Lohn. Wenn es nicht genug zu tun gibt, machen festangestellte ArbeiterInnen auch technische Kontrollen, arbeiten unter anderem als Gruppenführer – sie sind also multifunktional einsetzbar.

Ich bin seit fünf Jahren bei Foxconn und habe an 90 Prozent aller Plätze in der Halle gearbeitet. Wenn ich eine andere Aufgabe bekam, war das nie eine Beförderung. Ich wurde nur hin- und her versetzt. Foxconn wendet diese Strategie an, um flexible ArbeiterInnen zu haben, die verschiedene Aufgaben erledigen können. (Rupert, festangestellter Arbeiter
aus der Slowakei, 10.9.2012)

Die langen Schichten und die zuweilen enorm hohe Produktivität führen zu einer hohen Fluktuation. Oft sind es die Manager selbst, die für einen Austausch der Arbeitskräfte sorgen, aber in nicht wenig Fällen stimmen die ArbeiterInnen, und vor allem die MigrantInnen unter ihnen, mit den Füßen ab und gehen. Die ArbeiterInnen laufen aufgrund der langen Schichten, der hohen Arbeitsgeschwindigkeit, der monotonen Arbeit und der niedrigen Löhne davon, und Foxconn muss für den Zufluss neuer WanderarbeiterInnen sorgen, um sie zu ersetzen. Die hohe Fluktuation hängt auch mit der mangelnden Identifikation der Arbeitskräfte mit ihrer Arbeit und den geringen Erwartungen an diese Art der Beschäftigung zusammen. Diese Entfremdung ist nicht einfach eine Tatsache, sondern eine soziale Konstruktion, die täglich von den  ArbeiterInnen selbst beeinflusst wird.15 Die Arbeit an der Montagelinie erfordert große Konzentration bei der stundenlangen Wiederholung derselben Bewegungen. Wenn die tschechischen oder migrantischen ArbeiterInnen erkennen, dass ihr Potenzial ungenutzt bleibt oder die Realität zu sehr von ihren Vorstellungen abweicht, ziehen sie es vor, zu kündigen. Die jungen tschechischen ArbeiterInnen haben in der Regel wenig Interesse, bei Foxconn zu bleiben, es sei denn, sie bekommen einen besseren Vertrag.

Die WanderarbeiterInnen sind mehr oder weniger daran gewöhnt, in verschiedenen europäischen Ländern nach Arbeit zu suchen und sich dementsprechend an unterschiedliche Arbeitssysteme anzupassen. Nicht wenige der tschechischen ArbeiterInnen wie der MigrantInnen nehmen dennoch die Arbeitsbedingungen hin, weil es sich um ein großes Unternehmen handelt, das einen regelmäßigen Lohn, eine Kranken- und eine Arbeitslosenversicherung garantieren kann. Am ehesten identifiziert sich noch ein Teil der tschechischen festangestellten ArbeiterInnen mit den Interessen des Unternehmens.

Auf der anderen Seite hängt die Zahl der ArbeiterInnen direkt von den Produktionsanforderungen ab, sodass die ZeitarbeiterInnen nach Hause geschickt werden können, wenn die Aufträge ausbleiben:

Mitte August haben sie 300 rumänische ArbeiterInnen nach Hause geschickt, weil es keine Arbeit mehr gab. (Marius, Zeitarbeiter aus Rumänien, Pardubice, 31.8.2012)

Die Arbeitsfluktuation von etwa 25 bis 30 Prozent im Jahr stellt auch die Gewerkschaft vor Probleme, weil sie so ihre Aufgaben nur schwer erfüllen kann.

Das größte Problem innerhalb der Fabrik ist die Fluktuation der WanderarbeiterInnen und der tschechischen ArbeiterInnen. Sie entscheiden sich wegzugehen, weil die Arbeit sehr monoton und schnell ist. Dann gibt es das Problem mit der Arbeitszeit, weil die Leute in der Fabrik 60 Stunden pro Woche arbeiten. (Dobroslav, festangestellter Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, 26.2.1012)

Die Agenturen versuchen, die hohe Arbeitsfluktuation von etwa 25 bis 30 Prozent im Jahr durch Knebelverträge in den Griff zu kriegen. Die ZeitarbeiterInnen unterschreiben in der Regel zunächst in ihrem Heimatland einen Vertrag für 300 Stunden, dann kommen sie nach Tschechien und nach zwei Monaten unterschreiben sie einen weiteren Vertrag mit derselben Agentur.

Viele polnische ArbeiterInnen kündigten während dieser 300 Stunden; sie durften aber nicht sofort gehen, wenn sie das wollten, und wurden gezwungen, zwei weitere Wochen zu arbeiten. Die Agentur sagte ihnen, sie bekämen sonst gar keinen Lohn. (Gabriel, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice 30.8.2012).

Die hohen Produktionsschwankungen schaffen einerseits ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit, andererseits aber auch mangelnde Loyalität. Die extreme Prekarität der WanderarbeiterInnen, die dem Unternehmen eine rasche Anpassung an die Produktionsanforderungen garantiert, wird auch von einem Teil der Festangestellten gerechtfertigt.

Die festangestellten ArbeiterInnen müssen bezahlt werden, auch wenn die Produktionszahlen niedrig sind oder sie am Wochenende arbeiten. Diese Kosten sind Foxconn zu hoch,
und deswegen gibt es die ZeitarbeiterInnen, die kommen und gehen. (Phuong, festangestellte Arbeiterin aus Vietnam,  Pardubice, 9.9.2012)

Einige ZeitarbeiterInnen beschweren sich, dass die Zeitarbeitsfirmen sie nicht regelmäßig den Absprachen entsprechend entlohnen oder nicht in der Lage sind, sie durchgehend zu beschäftigen. Die ArbeiterInnen der Kernbelegschaft sind trotzdem der Meinung, dass es für die ZeitarbeiterInnen nicht in erster Linie darum geht, einen direkten Arbeitsvertrag von Foxconn zu bekommen. Dabei sind die Arbeitsbedingungen der Kernbelegschaft deutlich besser als die der ZeitarbeiterInnen:

Ich glaube, dass die Leute bei den Zeitarbeitsfirmen arbeiten,  weil diese ihnen helfen, wenn sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Wenn du neu bist, besorgen sie dir auch einen Platz im Wohnheim. Ich denke nicht, dass es besser ist, zur Kernbelegschaft zu gehören. (Ariel, festangestellter Arbeiter aus der Slowakei, Pardubice 10.9.2012)

In den Fabriken kursieren viele Falschinformationen über die jeweils andere Gruppe und es herrscht ein Mangel an Kommunikation. Zudem wollen die festangestellten ArbeiterInnen nicht mit den ZeitarbeiterInnen zusammenarbeiten:

Ich mag nicht neben den ZeitarbeiterInnen arbeiten, weil nie klar ist, ob sie die Norm erfüllen können. (Altan, festangestellter Arbeiter aus der Mongolei, Pardubice 2. 9. 2012)

Momentan scheint die multinationale Belegschaft nicht in der Lage zu sein, zusammenzuwachsen. Sie bleibt vielmehr entlang der „ethnischen“ Trennungslinien gespalten. Für Foxconn sind die „communities“ entscheidend, um die Kooperation zwischen den Arbeitskräften, die oft die örtliche Sprache nicht verstehen, zu sichern und das Arbeiterverhalten gegenüber der mittleren Führungskette zu kontrollieren: Linienführer, Abteilungsleiter sowie Übersetzer und Vertreter der Agenturen. Die direkten und indirekten ArbeiterInnen scheinen ohne besondere Interaktionen zu koexistieren, auch wegen der sprachlichen Probleme, aber vor allem aber wegen der jeweils falschen Wahrnehmung der anderen Gruppe. Sowohl die ZeitarbeiterInnen als auch die Festangestellten beschweren sich darüber, dass die andere Gruppe Überstunden machen darf und damit mehr verdient.

Viele WanderarbeiterInnen sind sprachlich ausgeschlossen, weil der bei der Arbeit fast ausschließlich Tschechisch verwendet wird. Sofern es bei der Arbeit nicht verboten ist, kommunizieren viele ArbeiterInnen aber nach eigenen Angaben “mit den Händen”. Nicht wenige WanderarbeiterInnen kennen den Inhalt der unterschriebenen Arbeitsverträge nicht, weil sie in Tschechisch abgefasst sind und sie diese Sprache nicht verstehen.16 Amina hat innerhalb eines Jahres drei Verträge über einen, drei und sechs Monate unterschrieben, jedes Mal für eine andere Filiale der Firma Xawax, so dass jeweils ein anderer Firmenname auf dem Arbeitsvertrag stand:

Ich weiß nicht, was für einen Vertrag ich habe, weil er auf Tschechisch verfasst ist. Ich haben nie eine Kopie des Vertrages auf Rumänisch gesehen. (Amina, Zeitarbeiterin aus Rumänien, Pardubice 1.9.2012)

Die WanderarbeiterInnen scheinen aber nicht besonders am Inhalt der Arbeitsverträge, sondern mehr an seiner konkreten Umsetzung interessiert zu sein. Um nicht bei den schlechteren Arbeitsaufgaben hängen zu bleiben, ist die Kenntnis der tschechischen Sprache entscheidend, denn “wer kein Tschechisch spricht arbeitet ausschließlich am Montageband” (Dobroslav, festangestellter Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann, Pardubice 26.2.2012)

Nur die wenigen MigrantInnen, die Tschechisch gelernt haben, werden von der Firma für höhere Aufgaben oder zumindest als vermittelnde Instanz der Unternehmensführung eingesetzt; manchmal können sie innerhalb des Unternehmens aufsteigen und eine Abteilung leiten. Den WanderarbeiterInnen helfen die Beziehungen innerhalb ihrer „Community“ aber auch, Formen des Widerstands gegen den vom Management gesetzten Arbeitstakt abzustimmen.

 Unterschiedliche Arbeitsbedingungen

Die Arbeitszeiten sind unterschiedlich geregelt, je nach den Anforderungen des Unternehmens. Die ZeitarbeiterInnen arbeiten jedoch länger als die Festangestellten. Die Krise hat zu einer Veränderung des Arbeitszeitsystems geführt und die Bedeutung der Zeitarbeitsfirmen vergrößert – aufgrund der von diesen garantierten Flexibilität der Arbeitskräfte.

Das Arbeitszeitsystem teilt die ArbeiterInnen in drei große Gruppen: die bei Foxconn Beschäftigten, die Tagesschichten, manchmal auch Nachtschichten von acht Stunden arbeiten und auf eine 37,5 Stunden Woche kommen; die bei Foxconn Beschäftigten, die pro Woche drei Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten, tagsüber oder nachts, und in derselben Woche für eine weitere Zwölf-Stunden-Schicht bereitstehen; die ZeitarbeiterInnen, die fast immer Zwölf-Stunden-Schichten an fünf oder mehr Tagen pro Woche arbeiten, außer wenn es wenig zu tun gibt. Dieses Arbeitszeitsystem orientiert sich im Großen und Ganzen am tschechischen Arbeitsgesetz, das einschließlich der Überstunden eine maximale Arbeitswoche von 48 Stunden vorsieht. Das sind acht Überstunden pro Woche oder 416 Überstunden pro Jahr. Ein Gewerkschafter beschreibt die Probleme mit den gesetzlichen Regelungen:

Es ist egal, wie die Schichten organisiert sind und wie lange sie dauern, solange sie 40 Stunden pro Woche nicht übersteigen. Zwölf-Stunden- oder 24-Stunden-Schichten sind also okay. Das ist nicht illegal. Es gibt Druck seitens der EU, die Regelung von 48 Stunden auf 56 Stunden anzupassen, entsprechend der Vorschriften in der EU-15. (Bohdan von der Gewerkschaft CMKOS, Prag 4.9.2012)

Die ArbeiterInnen machen also entweder Acht-Stunden- oder Zwölf-Stunden-Schichten. Die mit Acht-Stunden-Schichten haben jährlich 22 Urlaubstage, die mit Zwölf-Stunden-Schichten jährlich 15 Urlaubstage. Während die Überstunden der Ersteren stundenweise bezahlt werden, unterliegen die Arbeitszeiten der Letzteren dem Arbeitszeitkontensystem. Dieses System gilt seit etwa zwei Jahren und geht auf ein Abkommen mit den Gewerkschaften zurück, das eine deutliche Flexibilisierung der Arbeitszeiten vorsieht. Die ArbeiterInnen der Zwölf-Stunden-Schichten müssen in sechs Monaten auf insgesamt 930 Arbeitsstunden kommen. Wenn sie weniger arbeiten, werden ihnen trotzdem 930 Stunden vergütet, und wenn sie mehr arbeiten, werden auch die Überstunden bezahlt. Wochenendarbeit wird jedoch nicht gesondert berücksichtigt, da kein Unterschied mehr zwischen Wochenend- und Wochentagen gemacht wird. Außerdem werden bei der Schichteinteilung diejenigen zur Arbeit herangezogen, die nicht genug Stunden auf dem Konto haben, und diejenigen vorübergehend ausgeschlossen, die bereits genug Stunden gearbeitet haben. Kommen wenige Aufträge rein, arbeiten die ArbeiterInnen nur wenige Stunden und die dann fehlenden Stunden werden ihnen übers Arbeitszeitkonto verrechnet:

Im März 2012 arbeitete ich nur neun Tage, und die anderen Stunden wurden vom Arbeitszeitkonto genommen. Am Ende “schuldete” ich Foxconn Stunden, bekam aber weiter meinen normalen Lohn. (Gombo, festangestellter Arbeiter aus der Mongolei, Pardubice 9.9.2012)

Das Arbeitszeitkontensystem wird also von den Produktionsaufträgen bestimmt. Das System garantiert einerseits gleichbleibende Monatslöhne, andererseits sehen sich die ArbeiterInnen an die Firma gebunden, wenn sie eine große Anzahl von Minusstunden angesammelt haben. Sie sind dann für lange Zeit an die Firma gefesselt und müssen versuchen die Minusstunden aufzuholen.

Die ZeitarbeiterInnen arbeiten fast ausschließlich in zwei Zwölf-Stunden-Schichten, tagsüber und nachts, bei ihnen gelten diese jedoch als normale Arbeitszeit. Ihre Schichten entsprechen denen in den chinesischen Fabriken und erleichtern die Arbeitsorganisation wie auch die Senkung der Kosten. Sie können allerdings auch zu einer erheblichen Fluktuation der Belegschaft führen:

Die Zeitarbeitsagenturen haben die Zwölf-Stunden-Schichten festgelegt, weil sie dadurch niedrigere Kosten haben. (Borek, Ex-Festangestellter aus Tschechien, Pardubice 31.8.2012)

Die Arbeitsschichten werden mit Ruhetagen unterbrochen, sodass ArbeiterInnen nicht mehr als an vier oder fünf aufeinanderfolgenden Tagen arbeiten. In jedem Fall schafft die Ersetzung des Acht-Stunden-Tages durch Zwölf-Stunden-Schichten viel Druck im Arbeitsalltag, vor allem angesichts der intensiven Arbeitsrhythmen. ZeitarbeiterInnen beklagen sich dennoch oft, dass sie nicht genug arbeiten:

Ich arbeite im Schnitt 165 Stunden pro Monat. Normalerweise arbeite ich drei, manchmal auch vier Tage die Woche, jeweils zwölf Stunden am Tag. Das sind nicht so viele Stunden pro Woche, ich will mehr arbeiten. (Dragán, Zeitarbeiter aus Bulgarien, Pardubice 26.2.2012)

In der Tat ist ein Teil der verfügbaren Belegschaft immer nur auf Abruf bereit. Wenn sie für einige Tage nicht arbeiten, bleiben sie in den Wohnheimen und verlassen die Stadt nicht, aber die Agenturen bringen sie mitunter bei geringem Produktionsaufkommen auch vorübergehend zurück in ihre Heimatländer und holen sie erst zurück, wenn sie wieder gebraucht werden. Ein zentrales Element des Foxconn-Systems ist seine unbestreitbare Fähigkeit, eine flüssige Masse von Arbeitskräften zu handhaben. Passend dazu die Schilderung eines Arbeiters aus Polen:

Jetzt bin ich über die Zeitarbeitsagentur bei Foxconn. Im Januar 2012 arbeitete ich nur 51 Stunden und verdiente 5.000 Kronen (200 Euro). Jeden Morgen fuhr ich zur Fabrik, um zu fragen, ob ich arbeiten könne, aber sie sagten mir, sie hätten nichts für mich. Wie mir ging es Hunderten von ArbeiterInnen. Wir sind alle bei Agenturen beschäftigt und warten draußen vor dem Tor und warten, dass uns der Chef aufruft. Sie holen sich aber nur einige Dutzend ArbeiterInnen, und die anderen warten auf einen Telefonanruf oder gehen zurück ins Wohnheim. Manche warten den ganzen Morgen vor dem Tor. (Szymon, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice 26.2.2012)

Zu den Unterschieden der Arbeitszeiten kommen die der Löhne: die Foxconn-ArbeiterInnen bekommen einen Stundenlohn von etwa 3,50 Euro oder 600 bis 700 Euro monatlich, während die ZeitarbeiterInnen sich mit 2,50 Euro oder einem Monatslohn von 400 bis 500 Euro begnügen müssen. Die Löhne hängen aber auch an der Qualifikation, den Arbeitsaufgaben, der Anzahl der Nachtschichten, den Überstunden und den Prämien. Die Löhne stiegen in den 2000er-Jahren, sanken aber 2010, weil es keine Überstunden mehr gab und das Stundensystem verändert wurde. Festangestellte ArbeiterInnen wollen nicht an den Montagelinien arbeiten, weil die Löhne zu niedrig sind: An den Montagelinien verdienen Foxconn-ArbeiterInnen etwa 12.000 bis 13.000
Kronen (480 bis 520 Euro), während Abteilungsleiter 20.000 Kronen bekommen (790 Euro). Um dieses Problem zu lösen, zahlt Foxconn zusätzlich Prämien an diejenigen
ArbeiterInnen, die hohe Produktionsergebnisse erreichen:

Ich verdiene im Monat etwa 12.000 Kronen (480 Euro) und bekomme eine Prämie von 1.000 Kronen (40 Euro). (Saikhan, festangestellter Arbeiter aus der Mongolei, Pardubice 6.2.2012)

 Alter Wein in neuen Flaschen?

Die Rolle der Gewerkschaft bleibt unbedeutend, nicht nur wegen des niedrigen Organisationsgrades und der hohen Arbeitsfluktuation. Sie agiert nur auf lokaler Ebene, und nicht mal die Gewerkschaftssektionen der beiden tschechischen Foxconn-Fabriken stimmen sich ab. Ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann in Pardubice sagt:

Die Gewerkschaften in Nitra in der Slowakei tun nichts, außer das was Foxconn will. Den Gewerkschaften aus Pardubice ist es tatsächlich nicht erlaubt, mit ihnen zu sprechen. (…) Wir haben keine Kontakte zu Gewerkschaften in anderen Ländern. (Vilém, Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, 12.9.2012)

Gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen beschwerten sich darüber, dass die lokalen Sektionen nicht gut mit der Gewerkschaftszentrale in Prag zusammenarbeiten.

Die Zentrale geht die Dinge zu theoretisch und nicht praktisch an. (Libor, Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, Pardubice, 12.9.2012)

Die Gewerkschaften konzentrieren sich auf Löhne, Urlaub und die Abschaffung der Zwölf-Stunden-Schichten, und ihre größte Errungenschaft sind die 163 Stunden Arbeitszeit pro Monat.

Besonders stolz sind wir darüber, dass wir sogar in Zeiten der Krise Lohnerhöhungen sichern konnten. (Dobroslav, Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, Pardubice 26.2.2012)

Einer der bedeutenderen Kämpfe fand in der Fabrik in Kutnà Hora statt. In der Abteilung, in der für Apple produziert wurde, organisierten ArbeiterInnen einen schüchternen Protest:

Als sie [Foxconn] anfingen, die Überstunden nicht mehr zu bezahlen, schrieben wir als Gewerkschaft an die Chefetage in Pardubice und verlangten ein Treffen. (…) In Pardubice gab es einen 75 Jahre alten Gewerkschaftsvorsitzenden, der nichts tun und nur seine Ruhe haben wollte. Dann wechselte die Gewerkschaftsführung. (…) Wir begannen mehr für die Leute zu tun. Unser einziger Protest war ein ‚Notfall-Streik‘. Ich übergab der Fabrikleitung unsere Forderungen, weil wir den Leuten Jahresprämien, so was wie ein 13. Monatsgehalt, versprochen hatten [aber sie hielten ihr Versprechen nicht]. (…) Zu der Zeit hörten wir wirklich auf und sagten, was wir wollten – dass wir in den Streik treten und bis Weihnachten nichts produzieren würden. Wegen der Marktlage wurden sie [die Leitung] nervös und plötzlich war Geld da. Innerhalb einer Woche hatten die Leute es auf dem Konto. (…) Apple schickte danach ein Untersuchungsteam, das die Leute fragte, ob sie mit den Arbeitsbedingungen zufrieden seien und so weiter. Manche sagten offen, womit sie nicht einverstanden waren. (…)  Die vom Untersuchungsteam sagten, sie wollten die Bedingungen verbessern, aber stattdessen schlossen sie die Abteilung innerhalb eines halben Jahres. 330 Leute wurden entlassen. (…) Massenentlassungen müssen bei der Arbeitsagentur gemeldet werden, sie machten es aber auf die clevere Tour: Nach dem Gesetz gilt eine Entlassung von 30 oder mehr Leuten als Massenentlassung und so entließen sie jeden Monat 29. (…) Auf diese Art reduzierten sie die Abteilung über ein halbes Jahr lang. (Andrea, Ex-Foxconn-Arbeiterin aus Tschechien, Kutnà Hora 25. 2. 2012)

Die Gewerkschaft hat in Pardubice 250 bis 300 Mitglieder und in Kutnà Hora 80. Davon sind nur 30 WanderarbeiterInnen.17 Sie schenkt der Situation der WanderarbeiterInnen wenig Aufmerksamkeit, weil diese kein Tschechisch sprechen und die Fluktuation hoch ist. Tatsächlich kümmert sich die Gewerkschaft nicht weiter um die WanderarbeiterInnen, weil sie nicht in der Lage ist, auf deren Grundbedürfnisse zu reagieren. Das Gewerkschaftsbüro ist im Erdgeschoss eines der Gebäude von Foxconn, gleich neben einem der wichtigsten Zeitarbeitsfirmen, Xawax. Es ist nicht weiter überraschend, dass die ZeitarbeiterInnen mit ihren Beschwerden fast ausschließlich zu den Vereinen und Organisationen gehen, die mit den MigrantInnen solidarisch sind. Da sie die  migrantischen ZeitarbeiterInnen ausschließen, ist die zukünftige Rolle der Gewerkschaften eher unsicher. Ein Arbeiter, der kurz zuvor entlassen worden war, erklärte:

Manchmal waren nur noch ZeitarbeiterInnen in der Produktion. (Vilém, Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, Pardubice 12. 9. 2012)

Das könnte ein Trend sein, den es auch in anderen europäischen Ländern stärker im Blick zu behalten gilt.

Die älteren ArbeiterInnen sehen die Gewerkschaft als Teil des Kommunismus und seines Erbes, und die jungen ArbeiterInnen wissen gar nichts über die Gewerkschaft. Gewerkschaftern ist es nicht erlaubt, in der Werkhalle herumzulaufen und über die Arbeit der Gewerkschaft zu sprechen, um Mitglieder zu werben. Einige der Vertrauensleute setzen auch auf eine individuelle Strategie und nähern sich den ArbeiterInnen mit der Frage:

“Willst du etwa ausgebeutet werden?” (Vilém, Arbeiter und gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus Tschechien, Pardubice
12. 9. 2012)

Die Gewerkschaft ähnelt tatsächlich den Organisationen von vor 1989:

Die Mitglieder zahlen ein Prozent des Lohnes und können das von ihrer Steuer abziehen. Sie können umsonst einen Anwalt nehmen und erhalten Beratung zu Krediten, Hypotheken et cetera. Ein Teil der Gewerkschaft besteht auch aus pensionierten ArbeiterInnen, die vormals bei Tesla gearbeitet hatten. […] Wir organisieren auch Freizeitaktivitäten wie ein Bowlingturnier mit Kutnà Hora und für Familien- Wochenenden im Erholungsheim. […] Die Mehrzahl der Mitglieder sind ArbeiterInnen aus Tschechien, dazu kommen weitere 10 bis 15 festangestellte ArbeiterInnen; aber das Problem mit den AusländerInnen ist, dass man nie weiß, wie lange sie dableiben werden. (Libor, Arbeiter und Vertrauensmann aus Tschechien, Pardubice, 12. 9.2012)

Die Firma legt zudem besonderen Wert auf Freizeitaktivitäten und organisiert verschiedene Sportveranstaltungen, Ausflüge und Feste. Darüber hinaus bietet sie besondere Rabatte für den Kauf bestimmter Produkte.

Internationale Filialen: Die Rolle der Zeitarbeitsfirmen
Eines der globalen Phänomene des derzeitigen Produktionssystems ist die Verbreitung von Personal- und Zeitarbeitsfirmen, die sich zwischen ArbeiterInnen und Kapital schieben, insbesondere im Fall der WanderarbeiterInnen, und bereits diverse Arbeitsmarktsegmente bestimmen. Die Arbeitsmärkte werden auf internationaler Ebene mithilfe dieser Vermittler umstrukturiert unter der Vorgabe, Mehrwert aus deren Aktivität zu ziehen, und mit dem Ziel, die Arbeitskraft weiter in den Griff zu bekommen. Zeitarbeitsagenturen sind in Tschechien seit Oktober 2004 aktiv. Wie in anderen Ländern sollen sie den einheimischen Arbeitsmarkt flexibler machen, auch wenn den Beschäftigten dieselben Bedingungen gewährt werden sollen wie der übrigen Belegschaft einer Firma. Bis 2008 war es in Tschechien äußerst einfach, eine entsprechende Lizenz zu bekommen, und es gab kaum Kontrollen. Deswegen stiegen viele kleine Unternehmer ins Zeitarbeitsgeschäft ein und die Branche beschäftigte Zehntausende.18 Heute sind die Vorschriften und Kontrollen strenger und die Zahl der Zeitarbeitsfirmen ist von 2.500 im Jahr 2007 auf 1.300 im Jahr 2011 zurückgegangen. Die „Gesetzgebung [ist] eine der wichtigsten Antriebskräfte der Industrie“.19

Die Arbeits- und Migrationspolitik Tschechiens zielt auf eine Just-in-time-Migration,20
die zumindest für die ArbeiterInnen von außerhalb der EU keine langen Aufenthaltszeiten vorsieht. Die ArbeiterInnen aus der EU genießen das Recht auf Arbeitsaufnahme und Mobilität in fast allen Mitgliedsländern, und die europäische Staatsbürgerschaft sieht die formale Gleichstellung im Falle eines Aufenthalts in einem anderen EU-Land vor. Allerdings sind die konkreten Formen der Staatsbürgerschaft innerhalb der EU in vielerlei Hinsicht uneinheitlich, sodass sich eine neue Hierarchie unter den BürgerInnen verschiedener EU-Staaten herausbildet.21

Um in Tschechien eine Zeitarbeitsfirma eröffnen zu dürfen, muss man mindestens 23 Jahre alt sein, darf keine Vorstrafen haben und muss entweder nach Abschluss der Oberschule fünf Jahre oder nach einen Universitätsabschluss drei Jahre gearbeitet haben. Das Arbeitsministerium muss die Erlaubnis bestätigen. In dem stark fragmentierten Markt mit seinen eher niedrigen Durchschnittslöhnen sind die Gewinnmargen beschränkt. Die tschechische Arbeitsgesetzgebung macht es Firmen zudem relativ leicht, Beschäftigte zu kündigen, und das kann in einigen Unternehmen gegen den Einsatz von Zeitarbeitsagenturen sprechen. Eine Teil der Zeitarbeitsagenturen macht seine Gewinnen allerdings nicht nur mit der Vermittlung von Arbeitskräften, sondern auch mit der umfassenden Führung und Betreuung von WanderarbeiterInnen.

Foxconn stützt sich in Tschechien vor allem auf drei internationalen Zeitarbeitsfirmen – Express People, VVVTour und Xawax –, die unterschiedliche Beschäftigungsbedingungen anbieten. Die Agenturen spielen eine entscheidende Rolle für die Aufteilung der Arbeit und auch beim Umgang mit Formen des Widerstandes wie der rasanten Fluktuation. Jede Agentur spezialisiert sich auf ArbeiterInnen einer bestimmten Nationalität, obwohl sie zuweilen auch solche anderer Nationalitäten beschäftigen kann. Die meisten von den Agenturen eingestellten ArbeiterInnen sind MigrantInnen, während ArbeiterInnen aus Tschechien eher direkt von Foxconn eingestellt werden. Die Zahl der direkt bei Foxconn eingestellten MigrantInnen ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Ihr Anteil liegt nunmehr bei acht bis zehn Prozent.

Im Jahr 2010 stellten die Agenturen vor allem MigrantInnen aus Vietnam ein sowie solche aus der Mongolei, aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei.22 Die Situation hat sich aber ab Anfang 2012 verändert, weil es den Agenturen durch die neue Migrationsgesetzgebung nicht mehr möglich ist, MigrantInnen von außerhalb der EU einzustellen. Sie sind nun gezwungen, ihre Rolle teilweise neu zu bestimmen. Diese besteht nun darin, MigrantInnen von außerhalb der EU an eine dritte Partei zu vermitteln, die diese dann einstellt. Die Agenturen haben für diesen Zweck neue Firmen gegründet, die von Foxconn eine oder mehrere Produktionsabteilungen anmieten. Diese neuen Firmen können ohne Probleme EU-MigrantInnen beschäftigen, da in solchen Fällen der Einsatz der Arbeitskräfte durch die Vorschriften über den freien Warenverkehr in den EU-Ländern geregelt ist. Die Rolle der Agenturen als Subunternehmen ist auch für die Gewerbeaufsicht ein neues Phänomen, da sich der Beschäftigungsrahmen verändert hat: Die Verantwortung wird an jemand anders weitergegeben, wenn Teile der Fabrik vermietet werden. Die lokale Gewerbeaufsicht ist der Ansicht, dass dieses System außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt, da ihre Aufgabe nur darin bestünde, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen (Gespräch mit der Gewerbeaufsicht, Pardubice, 6. 9. 2012).

Die Zahl der Beschäftigten der Agenturen oder Subunternehmen ändert sich mit den Anforderungen der Produktion, kann aber in Spitzenzeiten bis zu 60 Prozent der Belegschaft erreichen.23 In Pardubice sind es etwa 2.000 bis 2.500 Leute, in Kutnà Hora etwa 1.000 bis 1.500. Nach Angaben der Zeitarbeitsfirmen sichert sich Foxconn eine beträchtliche Flexibilität, weil Auftragslage und Produktion erheblichen Schwankungen unterworfen sind. Der Höhepunkt wird im Dezember erreicht, wenn sich die Geschäfte im Westen mit Menschen füllen, die auf der Suche nach dem letzten Schrei der Technik sind.

2004 und 2005 waren gute Jahre. Dann wurde Druck ausgeübt, damit wir flexibler werden. Es gibt keine stetige Produktion, vielmehr hängt alles vom Lebenszyklus des Produktes ab, von der “Saisonalität” der Arbeit. Außerdem hängt das Geschäft am Dollar, sodass dieser den Wert und die Produktion beeinflusst. (Alexandr, festangestellter Arbeiter aus Tschechien, Pardubice
31.8.2012)

Die Zeitarbeitsagenturen sind rechtlich die Arbeitgeber, und es besteht keine vertragliche Beziehung zwischen dem Kunden, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt, und dem oder der ArbeiterIn. Die Zeitarbeit zeichnet sich durch eine gewisse Standardisierung auf internationaler Ebene aus, auch wenn „der internationale Zeitarbeitsmarkt in hohem Maße segmentiert bleibt“.24 Normalerweise übernehmen die Agenturen kaum die klassischen Aufgaben eines Arbeitgebers – wie die Kontrolle des Produktionsprozesses oder die Überwachung der Disziplin –, bei Foxconn hingegen sind sie nicht nur für die Auswahl der Arbeitskräfte und die Zuweisung von Arbeitsplätzen, sondern auch für die direkte Führung von Teilen der Belegschaft verantwortlich. Sie spielen dort in allen Fragen der Produktion und Reproduktion eine wichtige Rolle und übernehmen die Einstellung, die Organisation der Unterkunft und des Transports sowie die Leistungskontrolle der WanderarbeiterInnen. Wenn Foxconn Arbeitskräfte nachfragt, rufen die Agenturen die ArbeiterInnen an, die sie bereits ausgewählt haben. Sie organisieren Busse, um die ArbeiterInnen aus ihren Heimatländern nach Pardubice und Kutnà Hora zu bringen. Normalerweise verlassen MigrantInnen ihre Heimatstädte an dem Tag, an dem sie den Vertrag unterschreiben. Nach ihrer Ankunft werden sie innerhalb von 24 bis 48 Stunden bei der Arbeit eingesetzt:

Ich kam hier im Juli 2012 an, weil mein Bruder seit vier Jahren hier arbeitet und mir gesagt hatte, dass man hier gutes Geld verdienen kann… Im Bus waren wir 50 ArbeiterInnen, und alles wurde von der Agentur organisiert… Ich begann zwei Tage nach meiner Ankunft mit der Arbeit. (Rosita, Zeitarbeiterin aus Bulgarien, Pardubice 1.9.2012)

Jede Agentur hat einige Koordinatoren für die Produktion und die Wohnheime. Es handelt sich oft um MigrantInnen, die gut Tschechisch sprechen. Sie arbeiten eng mit Foxconn zusammen, beteiligen sich an internen Sitzungen und kümmern sich auch um polizeiliche Formalitäten für Aufenthaltserlaubnisse und um andere Verwaltungsaufgaben. In der Produktion kontrollieren sie die ArbeiterInnen und ihre Arbeitsleistung. Sie haben ein Vetorecht bei der Zuweisung an bestimmte Arbeitsplätze und entscheiden auch, wer arbeitet und wer nicht und wo die Leute in den ersten Wochen wohnen.

Die Zeitarbeitsfirmen sind also Firmen im Inneren einer anderen Firma. Nicht zufällig legt eine informelle Absprache zwischen den Agenturen und Foxconn fest, dass – bis auf wenige Ausnahmen – ArbeiterInnen, die einen Vertrag mit einer Agentur haben, nicht direkt von Foxconn eingestellt werden und nach Verlassen der Agentur mindestens sechs Monate nicht in der Fabrik arbeiten dürfen:

Als Zeitarbeiter kannst du nicht direkt von Foxconn angestellt  werden. Du musst deinen Vertrag mit der Agentur beenden und sechs Monate warten, erst dann kannst du einen direkten Vertrag mit Foxconn bekommen. (Vassil, Wanderarbeiter aus Bulgarien, Pardubice, 26.2.2012)

Bezahlt werden die Agenturen für jede von den ArbeiterInnen geleistete Arbeitsstunde auf der Grundlage ihrer Qualifikation und der Abteilung. Für ArbeiterInnen im Lager zahlt Foxconn 158 Kronen (6,25 Euro) pro Stunde an die Agentur, für ArbeiterInnen an der Montagelinie dagegen nur 141 Kronen (5,60 Euro). Die Agenturen konkurrieren um Anteile an der Zeitarbeiterschaft bei Foxconn, was zur Bildung eines Korruptionsnetzes von Foxconn-Managern und Agenturen geführt hat.

[Die Agenturen] stehen im Wettbewerb miteinander, und [Agentur A] macht den Managern Geschenke, zahlt ihnen einen Urlaub in Bulgarien… Auf der andere Seite konkurrieren sie beim niedrigsten Preis für die ArbeiterInnen. (…) Sie [die Manager] lassen sich bestechen. (Andrea, Ex-Foxconn-Arbeiterin aus Tschechien, Kutnà Hora 25.2.2012)

Eine internationale Belegschaft für ein internationales Unternehmen

Neben den einheimischen und den slowakischen Beschäftigten arbeiten in den tschechischen Fabriken Foxconns MigrantInnen aus Ländern wie Bulgarien, der Mongolei, Rumänien, Polen, der Ukraine und Vietnam. Die Migrationsflüsse laufen entlang der historischen Verbindungen der ehemaligen realsozialistischen Länder und werden oft von den international vernetzten Zeitarbeitsfirmen bestimmt. Die Anwerbung von WanderarbeiterInnen hat in Tschechien eine lange Tradition. Bis 1989 basierte sie vor allem auf Regierungsvereinbarungen und in weit geringerem Maße auf individuellen Verträgen.25 In den 1990ern galt Tschechien als Migrationspufferzone zwischen Ost
und West.26 Doch die rasanten Veränderungen in Wirtschaft und Produktion haben das Land verändert und zu einer momentanen Eindämmung der migrantischen Arbeitskraft mit mittleren Löhnen geführt.

Die Verteilung der Nationalitäten der WanderarbeiterInnen bei Foxconn entspricht in etwa der Situation in ganz Tschechien. 2011 zählten sie etwa 310.000 Personen und stellten 5,4 Prozent der Beschäftigten. Es handelte sich im Einzelnen um Menschen aus der Slowakei (114.000), der Ukraine (70.000), Vietnam (34.000), Polen (21.000), Bulgarien (8.000) und Rumänien (7.000). Aus der Mongolei kamen 2008 noch 13.000 Personen, 2010 nur noch 3.300.27 Auch die Zahl der Menschen aus der Ukraine und Vietnam ging zurück – eine Auswirkung der neuen Migrationspolitik gegenüber  BürgerInnen von Drittstaaten und des EU-Beitritts von Bulgarien und Rumänien, der in jenen Jahren zu einem Anstieg der Zuwanderung aus diesen Staaten nach Tschechien führte:

Jetzt werden vor allem MigrantInnen aus der EU aufgenommen, weil sich die Gesetzgebung zur Migration geändert hat. Es sind Leute aus der Slowakei, Polen, Bulgarien, und zuletzt sind die aus Rumänien gekommen und die aus Moldavien, die einen rumänischen Pass haben. (Diana, NGO-Mitglied, Prag 27.2.2012)

In der Gegend um Pardubice und Kutnà Hora nahm die Zahl der Aufenthaltsgenehmigungen von Ende 2001 bis 2008 stetig zu, um dann ebenso schnell zu sinken: 2001 gab es in beiden Städten nur 621 MigrantInnen von außerhalb der EU, 2008 war die Zahl auf 9.457 gestiegen, bis 2011 sank sie dann auf ganze 1.937.28
2012 verfügte die tschechische Regierung strengere Vorschriften für die Vergabe von Arbeitserlaubnissen an Personen von außerhalb der EU, um die in der Folge der gegenwärtigen globalen Wirtschaftskrise steigende Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen. Die Beschäftigung von Nicht-EU-AusländerInnen ist schwieriger geworden und stellt die Unternehmen vor höhere Verwaltungshürden. Die neuen Vorschriften verlangen eine akademische Ausbildung, es sei denn das Ministerium für Arbeit und Soziales stimmt einer Ausnahmeregelung zu. Existierende Arbeitserlaubnisse für ZeitarbeiterInnen aus Nicht-EU-Ländern werden nicht verlängert, wenn sie vor dem 1. Januar 2012 gewährt wurden.29 Schließlich dürfen die existierenden Arbeitserlaubnisse für Nicht-EU-AusländerInnen nur für jeweils sechs Monate verlängert werden (vorher normalerweise ein bis zwei Jahre), und das Verfahren kostet 2.500 Kronen (100 Euro). Sogar ArbeiterInnen mit zweijährigen oder unbefristeten Arbeitsverträgen müssen alle sechs Monate die Aufenthaltserlaubnis erneuern.

Letztes Jahr bekam ich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, aber jetzt habe ich nur eine für sechs Monate. Foxconn kümmert sich um die Erneuerung meiner Aufenthaltserlaubnis. (Delger, festangestellter Arbeiter aus der Mongolei, Pardubice 26.2.2012)

In anderen Fällen wird die Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung von Zeitarbeitsfirmen übernommen, die von den WanderarbeiterInnen einige Hundert Euro dafür verlangen.

Für die europäischen MigrantInnen, einschließlich derer aus der Ukraine, ist die Migration nur mit wenigen Kosten verbunden – wie auch für die aus der Mongolei, die mithilfe von Freundschafts- und Familiennetzwerken emigrieren. Ein Teil dieser internationalen Arbeiterschaft verfügt bereits über Erfahrungen in verschiedenen Ländern und ist daher in der Lage, Vergleiche anzustellen und mit ArbeiterInnen unterschiedlicher Herkunft und Mentalität auszukommen. Andere ArbeiterInnen, besonders die aus Bulgarien, stammen vom Land und haben nur wenige Erfahrungen mit Fabrikarbeit.
Eine junge Rumänin hatte vorher in der Slowakei und in Spanien gearbeitet, bevor sie in Pardubice anfing. Sie kommt aus Tulcea im Donaudelta, wo sie für eine italienische Textilfirma gearbeitet hatte:

Bei Foxconn ist es besser also dort in Rumänien. Ich verdiene 400 bis 500 Euro im Monat und wohne mit meinem Ehemann in diesem Zimmer, das von der Agentur bezahlt wird. (Madalena,
Zeitarbeiterin aus Rumänien, Pardubice 1. 9. 2012)

Madalena ist wie andere Teil des großen Pools an Arbeitskräften, die Arbeitserfahrungen auf europäischer Ebene haben. Die diversen Arbeitserfahrungen führten bisher nicht zur Herausbildung solidarischer Bezüge zwischen ArbeiterInnen derselben Klassenposition, stärkten aber ihr Verlangen, Arbeitsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern auch zu ergreifen. Ein Arbeiter aus Rumänien wechselte so zwischen Heimatland und Ausland:

Ich habe in Ungarn als Mauerer gearbeitet, in der Slowakei in der Fabrik von TPCA [Joint-Venture von Toyota, Peugeot und Citroen], in Italien in der Landwirtschaft, und jetzt bin ich hier. Ich bin im September 2011 in Imola [Kleinstadt bei Bologna in Italien] gewesen und habe 6,00 Euro die Stunde verdient, im März 2012 gaben sie mir 3,50 Euro, und ich entschied, nach Rumänien zurückzukehren. Dann hörte ich, dass eine Agentur Leute für Foxconn sucht und bin dahin gegangen. (Petre,
Zeitarbeiter aus Rumänien, Pardubice, 2.9.2012)

Eine der wichtigsten Ströme von Nicht-EU-WanderarbeiterInnen ist ohne Zweifel der von VietnamesInnen. Bereits in den Zeiten des Ostblocks vor 1989 war Vietnam der wichtigste Lieferant von Wanderarbeitskräften.30 Der Migrationsfluss aus Vietnam scheint besonders reglementiert, und es gibt nicht viele Möglichkeiten der Wanderung nach Tschechien. Entweder läuft das über eine staatlich autorisierte Zeitarbeitsfirma oder über Mittelmänner, die zwischen den potentiellen MigrantInnen und der tschechischen Botschaft in Vietnam vermitteln. Die meisten dieser ArbeiterInnen kommen aus ländlichen Gegenden und hatten vorher keine Erfahrung mit Industriearbeit. Sie arbeiten sehr hart und sind leicht für Überstunden verfügbar.31 Die Leute, die sich in Vietnam für die Migration entscheiden, gehören nicht zu den Ärmsten. Gewöhnlich haben sie etwas Geld und Kontakte in den Städten.

Ende 2007 kündigte Foxconn an, 1.500 ArbeiterInnen aus Vietnam einzustellen, um andere ausländische ArbeiterInnen zu ersetzen. Einige Monate später, „im Frühjahr 2008, äußerte der tschechische Premierminister Mirek Topolànek während eines Besuches in Vietnam seine Besorgnis, dass der tschechischen Wirtschaft 2010 450.000 Leute fehlen würden.“32 Ende 2008 war die Beschäftigung von VietnamesInnen aber wegen der Krise rückläufig.

Die meisten VietnamesInnen zahlen 10.000 bis 15.000 US-Dollar, um nach Tschechien auswandern zu können, und hoffen, die Schulden in zwei bis drei Jahren zurückzahlen zu können.33 Normalerweise müssen die ArbeiterInnen ohne besondere Qualifikationen für die Emigration mehr Geld an die Agenturen zahlen, während die Qualifizierten weniger zahlen. Die internationale Wirtschaftskrise hat die Verschuldung der MigrantInnen verschärft, und viele Familien in Vietnam sind bankrott gegangen, auch weil die Schulden in Gold bezahlt werden müssen und der Preis des Edelmetalls mit der Krise sprunghaft gestiegen ist. Normalerweise müssen die ArbeiterInnen ohne besondere Qualifikationen für die Emigration viel Geld an die Agenturen zahlen, während die Qualifizierten nicht viel zahlen. Ein gewisser Teil der von Foxconn beschäftigten VietnamesInnen hatte auch schon internationale Arbeitserfahrungen bevor sie nach Tschechien kamen.

Ich habe schon viel Erfahrung mit der Arbeit im Ausland. Von 1995 bis 2001 war ich in Südkorea, dann von 2003 bis 2005 in Taiwan und danach in Katar. Dort hörte ich 2007 davon, dass es in Tschechien die Chance auf Arbeit gab. Ich entschied mich sofort, die Arbeit zu nehmen und kam hierher. Ich bin Gruppenleiter und arbeite meistens mit vietnamesischen ArbeiterInnen. Viele von diesen haben schon internationale Arbeitserfahrungen. (Bao, festangestellter Arbeiter aus Vietnam, Pardubice 27.2.2012)

Harmonische Unterkunft

Ein großer Teil der WanderarbeiterInnen wird von den Zeitarbeitsfirmen in Wohnheimen außerhalb der Fabrik untergebracht. Einige der fünf oder sechs Wohnheime in Pardubice gehen als Hotels der unteren Kategorie durch, andere befinden sich in vormaligen Kasernen und sind ausschließlich für die ArbeiterInnen. Die Verwaltung der unterschiedlichen Gebäude ist relativ einheitlich. Sie gehören entweder den Zeitarbeitsagenturen, Foxconn oder privaten Eigentümern. Falls sie Wohnheime mieten, belegen die Agenturen in der Regel eine feste Zahl von Räumen, unabhängig von der Anzahl der Leute, die sie gerade beschäftigten. Sie zahlen dann zwischen 80 und 140 Kronen pro Tag und Platz (3,15 bis 5,55 Euro), je nach Zustand und Einrichtung. Die Wohnheimzuteilung hängt mit drei Faktoren zusammen: der Qualifikation und Erfahrung der ArbeiterInnen, ihrer Nationalität und der Agentur, bei der sie beschäftigt sind. Die Agentur Express People bringt ihre Arbeitskräfte in einer Pension der untersten Kategorie unter. Das Veselka liegt nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt und beherbergt auch durchreisende TouristInnen. Hier wohnen vor allem junge ArbeiterInnen aus Polen und der Slowakei. Die Bäder im Veselka sind schmutzig und in den Türen stecken keine Schlüssel. Hier hat jemand zwei Kritzeleien hinterlassen: Die erste ist ein Wortspiel auf Slowakisch und Polnisch und lautet: Szukać jebać Foxconn, „Fick Foxconn“ oder auch „Suche nach Foxconn“ (das Verb szukać bedeutet „suchen“ auf Polnisch und „ficken“ auf Slowakisch; jebać bedeutet in beiden Sprachen „ficken“); die zweite ist weniger einfallsreich: Jebać Express People – „Fick Express People“.

Das Wohnheim Hurka ist eine ehemalige Kaserne, besteht aus vier großen Gebäuden mit drei Stockwerken und befindet sich in einem mittelmäßigen Zustand. Hier ist fast ausschließlich Personal der Agentur Xawax untergebracht: Familien und junge ArbeiterInnen aus Bulgarien und Rumänien sowie eine Handvoll ArbeiterInnen aus Vietnam. Das beste Wohnheim der Stadt trägt den klangvollen Namen Hotel Harmonie und beherbergt einige Hunderte junge (aber nicht sehr junge) ArbeiterInnen aus der Slowakei, Rumänien und Polen, die ebenfalls fast ausschließlich für Xawax arbeiten. Im Hotel Harmonie sind die Zimmer mit vier Betten, einem Bad und einer eigenen Küche ausgestattet.

Das Wohnheimsystem ist nicht neu in Tschechien. In vielen Ländern des Realsozialismus wurde versucht, einen großen Teil der Bevölkerung in ländlichen Gebieten zu halten und die Industrie in den wichtigen urbanen Zentren zu konzentrieren, sodass ein diffuses Pendelsystem entstand. Die Kosten wurden vom Staat auf die Pendler selbst abgewälzt, die viele Stunden für das Hin- und Herfahren aufbringen mussten.

Ende der 70er-Jahre gab es in vielen osteuropäischen Ländern das besondere Muster des wöchentlichen oder längeren Pendelns über weite Distanzen. Die Pendler konnten in der Arbeitswoche in einem Wohnheim oder Hostel in der Nähe ihrer Arbeitsstelle wohnen und wöchentlich oder monatlich in ihre weit entfernte Heimat zurückkehren. Dieses wöchentliche oder monatliche Pendeln über weite Distanzen gab es vor allem in Ungarn, (…) aber es war auch unter polnischen oder slowakischen BauernarbeiterInnen üblich. (…) Die Pendler waren normalerweise jung, männlich und HandarbeiterInnen oder ArbeiterInnen mit geringer Qualifikation.34

Das Wohnheimsystem garantiert auf eine diskrete Weise die Verfügungsgewalt über die Arbeitskräfte. Einige ArbeiterInnen bleiben sechs Monate im Wohnheim, andere auch fünf Jahre. Tatsächlich wohnt ein großer Teil der von den Agenturen beschäftigten MigrantInnen lieber im Wohnheim, als sich eine Mietwohnung zu suchen. Einerseits ist in den Wohnheimen alles geregelt und die ArbeiterInnen müssen sich keine Sorgen um die fehlenden Sprachkenntnisse machen, die sie für die Anmietung einer Wohnung bräuchten (wie für den Anschluss von Wasser und Strom, die Beziehungen zu den Nachbarn).

Andererseits garantiert das Wohnheim eine gewisse Gemeinschaftlichkeit der oft jungen Landsleute sowie einen ständigen Austausch von Informationen über die Fabrik, andere Arbeitsmöglichkeiten oder soziale Aktivitäten. Die Wohnheime stehen jedoch auch für die ständige Verfügbarkeit dieser mobilen Arbeitskräfte, weitgehend unabhängig davon, wo sie sich befinden. Die WanderarbeiterInnen der Agenturen werden gratis mit Bussen, die Foxconn und die Agenturen bereitstellen, in die Fabrik gefahren.

Die Agenturen beschäftigen Leute zur Verwaltung der Wohnheime, neben dem dortigen Personal. Der Verantwortliche des Wohnheims kümmert sich um die bürokratischen Aufgaben und täglichen Bedürfnisse, fungiert aber auch als Überwacher: Ordnung, Sauberkeit, Dokumente für die Ausländerpolizei, Gästeverbot in den Räumen, Aufteilung der Leute auf die Räume und so weiter. Probleme existieren unter anderem zwischen den Nationalitäten, in Verbindung mit Alkohol – der verboten ist – und mit Prostitution. Die Kontrollen sind nicht exzessiv aber regelmäßig. Sie zielen darauf ab, Verhaltensweisen zu verhindern, die als gefährlich (wie Rauchen im Zimmer), schädlich für die Arbeitsleistung (wie exzessives Trinken) oder zu kameradschaftlich (wie die Beherbergung anderer Personen) gelten:

Mindestens ein Mal im Monat kommt jemand [von der Agentur] und kontrolliert, ob andere Personen hier wohnen; sie haben die Zimmerschlüssel und öffnen die Tür, auch wenn wir nicht da sind. (Alina, Zeitarbeiterin aus Rumänien, Pardubice 1.9.2012)

Die Unterkunft wird von der Agentur bezahlt, wenn aber ArbeiterInnen gegen die Regeln verstoßen, können sie entlassen werden und müssen ab sofort selbst für die Unterkunft aufkommen. Dies ist eine mündliche Vereinbarung und wird nicht im schriftlichen Arbeitsvertrag vermerkt. Die Agenturen zahlen bis zu 3.000 Kronen (120 Euro) für einen Platz im Wohnheim, und wenn die ZeitarbeiterInnen in der Stadt eine Wohnung mieten wollen, zahlt ihnen die Agentur diese 3.000 Kronen pro Monat als Mietzulage. Manche ArbeiterInnen ziehen nach einigen Monaten in private Unterkünfte außerhalb der Wohnheime, aber die Mieten dort in der Stadt sind höher. Ein Arbeiter sagte:

Jetzt lebe ich in einer Wohnung, für die ich Miete zahle. Die Agentur zahlt 3.000 Kronen (120 Euro) für die Unterkunft und ich zahle insgesamt für alles 6.500 Kronen (255 Euro). (Gabriel, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice 30. 8. 2012)

Das Leben in einer Mietwohnung gibt ihnen mehr Freiheit und ermöglicht ihnen, sich in der Gegend niederzulassen. Wer aber in einer Wohnung wohnt und die Zulage dafür erhalten will, muss mindestens 150 Stunden im Monat arbeiten.

Ich bin in eine Wohnung gezogen, weil da du da weniger kontrolliert wirst… Als ich im Wohnheim war, kam der Koordinator vorbei, klopfte an die Tür, kam rein und sagte: “Los geht’s, es gibt Arbeit!” Er nahm uns mit, egal ob wir gerade unsere Schicht beendet hatten oder nicht. Er weckte und auch auf und zwang uns mitzugehen. In den Wohnungen ist das nicht so. Ich bin entspannter, weil wir für die Unterkunft bezahlen und deswegen mehr respektiert werden. (Gabriel, Zeitarbeiter aus Polen, Pardubice, 30.8.2012)

Die Kontrollen der WanderarbeiterInnen durch die Ordnungskräfte sind nicht allzu engmaschig, aber gleichwohl dringt die Polizei manchmal in die Wohnheime ein oder überprüft von MigrantInnen frequentierte Orte:

Die Polizei interessiert sich nicht besonders dafür, was passiert, aber sie kamen schon mehrfach in Wohnheime und Wohnungen, gingen in die Bars, in Supermärkte und in den Bahnhof, um die MigrantInnen zu kontrollieren. (Diana, NGO-Mitglied, Prag 27.2.2012)

Fazit
Foxconn ist der weltgrößte Auftragsfertiger für Elektronik und produziert für führende Marken wie Apple, Hewlett Packard, Dell, Nokia, Motorola, Sony und Samsung. Seit 1988 ist das Unternehmen vor allem in China präsent, wo es gegenwärtig 31 Produktionsstätten unterhält. Nach einer Welle von Arbeiterselbstmorden sowie Vorfällen, bei denen sich Beschäftigte schwer verletzten, geriet Foxconn zuletzt in den Fokus der Medien. Die harten Arbeitsbedingungen und die quasi-militärischen Kontrollen in den chinesischen Fabriken rückten in den Vordergrund. Berichte von JournalistInnen, NGOs und WissenschaftlerInnen boten Einblicke in die Situation der ArbeiterInnen bei Foxconn und in der gesamten Elektronikindustrie in China. Über die Aktivitäten Foxconns in den Ländern des ehemaligen Ostblocks wissen wir dagegen bisher wenig, auch wenn heute Länder in Zentral- und Osteuropa als Produktionszentrum für den Elektronikmarkt der EU fungieren.

In diesem Artikel bieten wir einen Überblick über die Bedingungen in den zwei Foxconn-Fabriken in Tschechien, in Pardubice und Kutnà Hora. Es zeigt sich eine in hohem Maße saisonabhängige Produktion, in der viele ZeitarbeiterInnen eingesetzt werden, um die Produktionsschwankungen auszugleichen.

In beiden Fabriken machen ZeitarbeiterInnen etwas über 50 Prozent aller Beschäftigten aus. Sie kommen vor allem aus benachbarten EU-Staaten wie der Slowakei, Polen, Rumänien sowie Bulgarien und werden von Zeitarbeitsagenturen mit auf kurze Zeit befristeten und verlängerbaren Verträgen eingestellt. Die Nationalitäten der ArbeiterInnen spielen in der Organisation der Produktion eine wichtige Rolle. An einer Montagelinie arbeiten für gewöhnlich nur ArbeiterInnen einer Nationalität und Sprache. Dieselbe Trennung findet in den Wohnheimen statt, in denen die ArbeiterInnen je nach Nationalität unterschiedlichen Zimmern zugeordnet werden. Das führt dazu, dass ArbeiterInnen meist nur Kontakt mit den KollegInnen haben, die in demselben Wohnheimzimmer leben und an derselben Montagelinie arbeiten. Die unterschiedlichen Nationalitäten sind hierarchisch organisiert: Unter den ausländischen ArbeiterInnen stehen die SlowakInnen ganz oben und die BulgarInnen ganz unten, was sich in unterschiedlichen Stundenlöhnen und Wohnbedingungen ausdrückt.

Die Zeitarbeitsagenturen regeln die Anwerbung der ArbeiterInnen in ihren Heimatländern, ihre Reise nach Tschechien, die Unterbringung in den Wohnheimen und den Transport zur und von der Arbeit. Sie sind auch in der Fabrikhalle für ihre ArbeiterInnen verantwortlich. Dazu gehören die Arbeitseinteilung (entsprechend der Anweisungen Foxconns), die Verteilung von Arbeitskleidung sowie die Kontrolle der Anwesenheit und der Arbeitsleistung. Die Zeitarbeitsagenturen spielen damit in der Organisation sowohl in der Produktion als auch in der Reproduktion eine Schlüsselrolle und ermöglichen Foxconn den Zugriff auf Just-in-time-Arbeitskräfte, wie sie für die schwankende Produktion gebr aucht werden. Auch der Einsatz der Kernarbeitskräfte wird von Flexibilität bestimmt, die Foxconn mit dem Arbeitszeitkontensystem durchsetzt. Die staatliche Politik sichert den Agenturen und Foxconn den ArbeiterInnen gegenüber die Oberhand, indem sie lange Arbeits- und Schichtzeiten erlaubt und die Arbeit der Agenturen durch extrem vage Vorschriften und Auflagen begünstigt. Der große Anteil an ZeitarbeiterInnen und die Mobilität der Beschäftigten entlastet den tschechischen Staat bei den Sozialleistungen und verringert die Gesamtarbeitslosigkeit in der EU. Unsere erste Analyse der Foxconn-Fabriken in Tschechien zeigt also eine in hohem Maße gespaltene und hierarchisch organisierte Arbeitskraft, deren Flexibilität und Ersetzbarkeit den Anforderungen des Produktionsprozesses entspricht und die durch die neoliberale Politik des Staates gefördert wird.


Fußnoten

1 Dies ist die lange Fassung der deutschen Übersetzung des Artikels. Eine gekürzte Fassung findet sich im Buch: Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan: iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken. Wien, 2013

2 Neben den beiden Fabriken in Tschechien in Pardubice und Kutnà Hora gibt es noch das Werk in Nitra in der benachbarten Slowakei. Dort befinden sich Fertigungslinien für Flachbildfernseher von Sony.

3 Drahokoupil, Jan. (2008): „The Investment-Promotion Machines: The Politics of
Foreign Direct Investment Promotion in Central and Eastern Europe“, Europe-Asia Studies, 60:2, S. 197–225.

4 „Foxconn wurden in Tschechien zehn steuerfreie Jahre zugestanden. (…) Wenn sie in der EU produzieren, vermeiden Firmen wie Foxconn und Changhong auch die 14 Prozent Zoll, die Brüssel auf in China hergestellte Fernseher erhebt.“ (Evertiq, „Asian EMS-firms discover Eastern Europe“, 5. Januar 2007, http://evertiq.com/news/6299; aufgerufen am 26. Oktober 2012).

5 Bormann, Sarah/Plank, Leonhard (2010): Working Conditions and Economic
Development in ICT production in Central and Eastern Europe. Berlin, S. 4.

6 Foxconn wurde in Pardubice „am 18. Mai 2000 als Hauptzentrum für die Belieferung der Elektronikindustrie in ganz Europa gegründet. […] Es stellte sich heraus, dass es einfacher und schneller war, das Gelände der vorherigen Firma HTT Tesla zu kaufen, auf dem 2000 die Produktion von PCs für IBM und Compaq begonnen wurde.“ Die Investition wird mit 1,8 Milliarden Kronen angegeben (etwa 71 Millionen Euro); das Gelände erstreckt sich über 30 Hektar (http://www.pardubice.eu/eng/industry-business/opportun/investors.html).

7 http://www.mzv.cz/taipei/en/news_events/investment_news/index.html

8 Die Apple-Abteilung in Kutnà Hora hatte 330 Beschäftigte und existierte bis Ende 2011. Wegen eines Konfliktes wurde sie nach und nach geschlossen (siehe unten).

9 Evertiq: „Foxconn lays off in Czech“, 12. August 2008: http://www.evertiq.com/news/12031; Evertiq: „Foxconn to hire 1000 new employees in CZ“, 2. Juli 2009: http://www.evertiq.com/news/14547; Evertiq: „Foxconn to build another Czech plant“, 23. November 2009: http://www.evertiq.com/news/15579
(alle aufgerufen am 26. Oktober 2012).

10 Evertiq: „Big changes for Foxconn Kutnà Hora?“ 25. Juli 2011: http://evertiq.com/news/20108 (aufgerufen am 26. Oktober 2012).

11 Bormann/Plank, a. a. O., S. 43.

12 Evertiq 2007, a. a. O.; Bormann/Plank, a. a. O., S. 43.

13 Der genaue Kurs zur Zeit der Übersetzung (7. 12. 2012) lag bei 1 Euro = 25,22 Kronen. Die Euro-Angaben wurden bei größeren Beträgen auf Zehnerstellen gerundet. (Anm. d. Ü.)

14 Evertiq: „Labour inspection fines Foxconn CZ“, 12. Juli 2010: http://www.evertiq.com/news/17370 (aufgerufen am 26. Oktober 2012).

15 Lindio-McGovern, Ligaya (2004): „Alienation and Labor Export in the Context of Globalization. Filipino Migrant Domestic Workers in Taiwan and Hong Kong“, Critical Asian Studies, Vol. 36, No. 2, S. 217–238.

16 Pechovà, Eva: “A Meeting in Kolìn. Vietnamese Workers in the Czech Republic”, migrationline.cz, Februar 2009, http://aa.ecn.cz/img_upload/6334c0c7298d6b396d213ccd19be5999/EPechova_MeetinginKolin_1.pdf (aufgerufen am 09. Dezember 2012).

17 Andere Quellen geben an: „Die Gewerkschaft hat 500 Mitglieder, vertritt die ZeitarbeiterInnen aber nicht.“ (Bormann/Plank, a. a. O., S. 41).

18 „Im ersten Quartal 2007 gab es fast 40.000 solcher ArbeiterInnen, die meisten davon in der Automobilindustrie (10.500), in Firmen für optische Instrumente und Apparate (10.000) sowie in der Metallurgie (6.000).“ (Hala, Jaroslav: „Czech Republic: Temporary agency work and collective bargaining in the EU“, EIROnline (19. Dezember 2008), http://www.eurofound.europa.eu/eiro/studies/tn0807019s/cz0807019q.htm (aufgerufen am 26. Oktober 2012).

19 Peck, Jamie/Theodore, Nik/Ward, Kevin (2005): „Constructing Markets for Temporary Labour: Employment Liberalization and the Internationalization of the Staffing Industry“, Global Networks, 5, 1, S. 3–26, hier: S. 13.

20 Düvell, Frank (2005): „Globalisation of migration control. A tug-war between restrictionists and the human agency?“ In: Henke, Holger (Hg.): Crossing Over: Comparing Recent Migration in Europe and the United States. New York, Oxford, Mass., S. 23–46.

21 Lockwood, David (1996): „Civic integration and class formation“, British Journal of Sociology, n. 47, S. 531–550.

22 Bormann/Plank a. a. O., S. 41.

23 „Nach Informationen der Gewerkschaft waren 2009 58 Prozent der ArbeiterInnen von Foxconn in Pardubice und Kutnà Hora bei Agenturen angestellt. Diese Zahl schwankt aber in Abhängigkeit von der Auftragslage.“ (Bormann, Plank, a. a. O., S. 41).

24 Peck/Theodore/Ward, a. a. O., S. 23.

25 Drbohlav, Dusan (2003): “Immigration and the Czech Republic with a Special Focus on the Foreign Labor Force”, International Migration Review, Vol. 37, No. 1 (Frühjahr), S. 194-224, hier: S. 197.

26 Wallace, Claire/Chmouliar, Oxana/Sidorenko, Elena (1996): “The Eastern
Frontier of Western Europe: Mobility in the buffer Zone”, New Community, Vol. 22, No. 2, S. 259-286.

27 Horàkovà, Milada (2011): „International Labour Migration in the Czech Republic“, Bulletin No. 27 (September 2011), Prague, RILSA.

28 Ebd.

29 Eine ähnliche Regelung gilt in den Niederlanden: http://www.undutchables.nl/candidates/working-in-the-netherlands/work-permit

30 Pérez-López, Jorge/Díaz-Briquets, Sergio (1990): „Labor Migration and Offshore Assembly in the Socialist World: The Cuban Experience“, Population and Development Review Vol. 16, No. 2, S. 273-299.

31 Kannika, Angsuthanasombat (2008): „Situation and Trends of Vietnamese Labor Export“, The Asian Scholar, Vol. 5, S. 1–11.

32 Pechovà, Eva, a.a.O., S. 5.

33 Bormann/Plank a. a. O.; Pechovà a. a. O.

34 Fuchs, Roland/Demko, George (1978): „The Postwar Mobility Transition in Eastern Europe“, Geographical Review, vol. 68, No. 2 (April 1978), S. 171–182; hier: S. 178.

 

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